1986 Das Gift (SM)
weil ich diese Burschen unbedingt verfolgen will. Wenn du so denkst, muß ich das in Kauf nehmen. Ich kann nur wiederholen: Es darf nicht sein, daß sie davonkommen! Das Ganze war eine so dreiste Herausforderung, daß man sie nicht unerwidert lassen kann, und sei’s nur, damit so etwas sich nicht wiederholt, jedenfalls nicht hier bei uns. Und wir haben jetzt Spuren, jede Menge Spuren. Wenn die einen nicht taugen, bringen uns die anderen weiter. Ich müßte eigentlich …
Weißt du was? Du kommst mit! Natürlich, wir fahren zusammen! Jetzt gleich! Nach Los Órganos, wo ich mir den Laster ansehen will. Warum sollten wir Wege, die garantiert ungefährlich sind, nicht zusammen machen? Oder möchtest du lieber nicht?«
»Nicht so gern. Du säßest dann neben mir und hättest doch immer nur diese Männer im Kopf. Aber soll der arme Manolo nun etwa wieder aufstehen?«
»Nein, nein, dies ist ja noch nicht der Ernstfall. In zwei Stunden bin ich zurück.«
»Und du mußt wirklich schon jetzt fahren? Du wolltest doch schlafen!«
»Das mach’ ich, wenn ich zurück bin; ich schätze, in zwei Stunden.«
»Wie gut, daß wir in Acapulco sind, wo man so wenig Schlaf braucht!« sagte sie.
Er hörte die leise Ironie heraus, auch das Bedauern, doch nichts konnte ihn umstimmen.
2.
Er war schon oft frühmorgens aus der Stadt hinausgefahren und wußte also, wie es gewöhnlich um diese Tageszeit auf der carretera aussah. Da machten sich die Menschen auf den Weg, zu Fuß, mit Karren, auf Mulas oder auch in klapprigen Autos, um beim Erwachen der Stadt dabeizusein mit ihrem Warenangebot: Orangen und Mangos, Melonen und Papayas, Ananas und Bananen, aber auch mit Kruzifixen und Madonnen aus Holz, Metall und Plastik, mit Onyx-Aschenbechern, Bastkörben, Teppichen, in Kunststoffmedaillons eingeschweißten Skorpionen oder gar mit lebenden Leguanen.
Nun aber begegnete er nur ein paar Militärfahrzeugen. Auch daß in seiner Richtung kaum Autos fuhren, war neu. In normalen Zeiten machten sich die Urlauber, deren Ferien zu Ende gingen, in aller Frühe auf die Reise, um die mörderische Mittagshitze des cañón zu vermeiden. Er dachte: Erst die turbulenten Trecks und die verstopften Straßen und nun diese Stille! Hoffentlich hat Acapulco in zwei, drei Tagen wieder Fuß gefaßt!
Wenige Kilometer jenseits der Stadtgrenze geriet er in eine Kontrolle. Ein Polizist prüfte seine Papiere, während vier Soldaten den Jeep untersuchten. Sie schoben sogar einen Spiegel unter die Bodenwanne, und danach durchwalkten sie die Sitzpolster. Am liebsten, so schien es ihm, hätten sie die ledernen Bezüge aufgetrennt.
Er überlegte, ob er auf seine Rolle im Krisenstab hinweisen solle, um die Inspektion abzukürzen, aber dann sagte er sich, daß es nicht helfen würde. Der Polizist und die Soldaten kannten ihn nicht.
»Warum machen Sie das?« fragte er. »Das Geld ist doch schon durch.«
»Wir haben trotzdem die Order, jedes Auto, das die Stadt verläßt, zu überprüfen. Aber Sie können jetzt weiterfahren.«
Mittlerweile war es acht Uhr geworden. Hoffentlich, dachte Paul Wieland, haben sie den Laster noch nicht weggeschafft!
Plötzlich ging ihm ein Wort durch den Kopf, das er im Zimmer 1610 gehört hatte. Der Oberst hatte es benutzt, und wahrscheinlich hatte er es von dem Mann, mit dem er telefonierte, übernommen, wie es leicht geschieht, wenn man eine gerade empfangene Nachricht weitergibt: Man hat den Wortlaut noch im Ohr, formuliert nicht um. Unter dem Heck, hatte der Oberst gesagt, liegen an die hundert Module herum, ausgestreut wie Hühnerfutter. Und weil Paul Wieland sich Vorgänge, von denen man ihm erzählte, meistens plastisch vorstellte, hatte er jetzt ein Bild im Kopf, das Bild von einem, der etwas ausstreut. Vom Heck eines Lasters aus. Auf einen Platz. Kein Hühnerfutter, sondern Module. Er sah einen Mann, der immer wieder in einen Beutel greift und die kleinen, aus Kunstharz gegossenen Bauelemente hinauswirft. Aber dann erfolgte die Korrektur des Bildes. So war es sicher nicht, dachte er; wahrscheinlich ist ihnen ein Kasten runtergefallen. Er ist aufgesprungen, und sie hatten keine Zeit, die Dinger wieder einzusammeln. Ja, die Korrektur war da, aber seltsamerweise tilgte sie nicht die alte, die vermeintlich falsche Vorstellung, die nur dadurch ausgelöst worden war, daß der Oberst Bericht gegeben und dabei einen Vergleich benutzt hatte.
Er bremste, hielt aber nicht an, wollte nur die Geschwindigkeit mindern, um durch das Fahren
Weitere Kostenlose Bücher