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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Familien ins Hotel zurückbringen. Du gibst ihnen zwanzig- oder dreißigtausend Pesos dafür, daß wir in ihrer Bruchbude unseren Rausch ausschlafen dürfen. So was ist menschlich, ist überhaupt nicht ausgefallen, und die Mädchen fragen nicht viel, wenn sie nur genug Geld sehen.«
Felix überlegte. Sie hatten mittlerweile die plaza erreicht. Er entdeckte einen Trupp Plakatkleber. »Da!« sagte er. »Sie sind auch hier unterwegs, kleben eure Fotos an die Schaufenster. Wir müssen weg, müssen aus dem Zentrum raus!«
Er nahm die nächste Abzweigung nach rechts, fuhr hügelaufwärts, bog wieder rechts ein. »Also«, sagte er dann, »versuchen wir’s in der zona roja ! Nur dürfen wir nicht vergessen, daß gerade die Ärmsten der Armen scharf sind auf die Belohnung. Wenn auch da oben die Fotos hängen, geht’s nicht.«
»Vielleicht doch«, erwiderte Leo. »Wir sehen mittlerweile ganz anders aus, sind braun wie Schokolade, und außerdem tragen wir Sonnenbrillen und diese Leinenhüte.«
»Na gut«, sagte Felix, »wenn es klappt, haben wir ein paar Stunden Zeit, um uns was auszudenken für die Nacht. Denn das müssen wir. Seit ich das Plakat entdeckt habe, sind mir schon etliche Ideen durch den Kopf gegangen, aber eine war so verrückt wie die andere, oder ich hatte ganz einfach was Wichtiges übersehen. Zum Beispiel fiel mir ein: Wir klauen eine CESSNA, Richard fliegt euch raus, möglichst weit, vielleicht sogar bis an den Stadtrand von México City. Da landet ihr auf einem Acker, geht zu Fuß weiter und verschwindet in der Zwanzig-Millionen-Stadt.«
»Mensch, gar nicht so schlecht!« antwortete Richard.
»Und was hast du übersehen?«
»Na, dir passiert also das gleiche! Wo gibt’s denn wohl ’ne CESSNA? Im Supermarkt bestimmt nicht, und auf der Costera sind die Dinger auch nicht geparkt. Nur auf dem Flughafen, und der liegt hinter dem Sperrgürtel. Also, auf in die zona rojal Aber vorher besorge ich noch den Tequila.«

9.
    Sie bogen ein in die zona roja . Langsam, ja, im Schrittempo lenkte Felix den CHRYSLER an den elenden Hütten entlang, vor denen sogar zu dieser frühen Stunde die Huren hockten, Mädchen und Frauen zwischen fünfzehn und fünfzig Jahren, billig angezogen, grell geschminkt, die meisten tiefbraun wie Negerinnen. Sie winkten ihnen zu, riefen. Eine stand auf, kam an den Wagen heran, ging mit, packte Felix durch das geöffnete Fenster an der Schulter, fragte:
    » Americano?«
Er nickte.
»Die ist ja mindestens im siebten Monat«, flüsterte Leo, und sein Entsetzen war nicht zu überhören.
    »Das ist der Mais«, erklärte Felix, »der treibt ihnen die Bäuche auf.«
Die Frau war sehr klein, vielleicht zwanzig Jahre alt. Sie trug ein grünes Kleid ohne Ärmel. »Wir brauchen hier doch wirklich nur zu pennen, oder?« fragte Richard.
»Keine Panik!« sagte Felix. »Wenn du vom Hocker kippst, lassen sie dich in Ruhe.« Dann fragte er die Frau:
»Cuánto?«
»Ten dollars.«
»Die sind dann aber für mich!«
Dumm schien sie auch noch zu sein, dumm oder aber sehr duldsam, denn sie lachte und kraulte ihm das Haar. Als er daraufhin den Kopf einzog, ließ sie von ihm ab und ging zurück. Sie hatten eine Weggabelung erreicht, hielten an, starrten aus den Fenstern, sahen Hunde, Truthähne, Huren, einen bettelnden alten Mann, eine Frau mit einem Joch auf den Schultern, an dem zwei Wassereimer hingen. Und sie lasen die Werbetexte an den Hauswänden. In einem der Lokale würde um dreiundzwanzig Uhr eine Blanquita auftreten, im Haus daneben eine Lola, und gegenüber war’s gleich ein Trio: José, Miguel und Carmen.
Felix warf einen Blick nach rechts in die abzweigende Straße und packte plötzlich Leos Arm. »Leute«, flüsterte er, »es war ein Irrtum! Wir können hier nicht bleiben! Dahinten, mitten in diesem Sumpf, ist eine Polizeistation. Guckt mal unauffällig hin!«
Die beiden sahen die Straße entlang. »Verflucht!« Leos Finger krallten sich in den Stoff seiner Hose. Und Richard sagte:
»Ja, da sitzen sie vor der Tür, mindestens vier Mann in blauen Uniformen, und ein Stück weiter steht ihr Auto!«
»Und seht mal auf die Dächer!« forderte Felix die Freunde auf. »Die Leute haben zum Leben kaum das Nötigste, aber auf jeder zweiten Hütte gibt’s ’ne Fernsehantenne. Wenn jetzt zwei Europäer stundenlang hier schlafen wollen, dann kann der dritte noch so viel von Rausch und Ausnüchterung erzählen und vierzig- oder auch fünfzigtausend Pesos hinblättern, spätestens nach der

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