1986 Das Gift (SM)
Tauchaktion.«
»Welche?« fragte Leo.
»Zunächst mal die Haie. Wir wären dann ja außerhalb der Bucht, und da sind sie! Ich hab’ keine Lust, mich von so einem Viech zerfetzen zu lassen. Lieber geh’ ich in ein mexikanisches Gefängnis!«
»Die Haie sind weiter draußen«, antwortete Leo. »Die Wahrscheinlichkeit, daß wir einem begegnen, ist eins zu neunundneunzig, und dann wäre es immer noch fraglich, ob er überhaupt angreift. Der Gürtel um die Stadt ist viel gefährlicher.
Wir haben es ja in der Zeitung gelesen: Das ganze Militär aus der Umgebung wurde hier zusammengezogen; die Soldaten patrouillieren Tag und Nacht, zum Teil sogar mit Suchhunden. Und das seit fünf Tagen. Aber jetzt wissen sie, daß wir bis vor zwei Stunden in unseren Hotels waren, und natürlich wird der Ring um die Stadt nun noch verstärkt. Ein Fluchtversuch über Land wäre sinnlos!«
»Und der andere Einwand?« fragte Felix und suchte zum Schein ein neues Fotomotiv.
»Sie haben Georg, Fernando und Raúl gefunden«, sagte Richard, »und damit auch die Scooter, werden also davon ausgehen, daß wir Taucher sind. Daraus ziehen sie den Schluß, daß wir die Bucht unter Wasser verlassen, und dann dehnen sie den Sperrgürtel aus, fünfhundert, vielleicht tausend Meter ins Meer, und zwar an beiden Seiten, also am Revolcadero -Strand und bei Pie de la Cuesta . Sie werden Boote und Froschmänner einsetzen, und wir werden keine Chance haben, durchzukommen. Und morgen heißt es dann im Fernsehen: ›Zwei dicke Fische sind uns ins Netz gegangen!‹«
Noch einmal sagte Leo: »Die Nacht wird uns helfen!« Und er fuhr fort: »Sobald wir ein Boot hören oder Lichter sehen, tauchen wir tiefer.«
Doch Richards Bedenken waren so schnell nicht auszuräumen. »Vielleicht«, sagte er, »besetzen sie an den zwei kritischen Stellen die Küste auf einer Länge von mehreren Kilometern. Selbst wenn wir dann durchkämen, könnten wir nicht an Land gehen. Wirst ja wohl nicht bis Zihuatanejo schwimmen wollen. An wie viele Kilometer hast du überhaupt gedacht? Fünf? Zehn? Zwanzig? Weißt du, was es bedeutet, in der aufgewühlten See auch nur einen lausigen Kilometer ohne Scooter voranzukommen? Es stimmt, wir haben trainiert, sind aber nie weiter als anderthalb Kilometer geschwommen, und das in der Bucht!«
»Ich gebe zu«, lenkte Leo ein, »deine Einwände haben Hand und Fuß. Ich mache dir einen Vorschlag: Felix wird alles kontrollieren, und je nachdem, was er herausfindet, benutzen wir den Wasser- oder den Landweg. Wärest du damit einverstanden?«
Richard dachte eine Weile nach, und dann sagte er: »Aber wenn es der Wasserweg wird und da kommt ein Hai auf uns zu, lasse ich dir den Vortritt.«
»Du warst schon immer ein höflicher Mensch.«
Es war das erste Mal seit der von Felix durchtelefonierten Schreckensmeldung, daß beide lachten.
»Ich mache mich jetzt auf die Inspektionsfahrt«, sagte Felix.
»Soll ich die Taucheranzüge, Schwimmflossen und so weiter also wirklich kaufen?«
»Kauf sie!« antwortete Leo, »aber bevor du losfährst, besorgst du uns die Badesachen. Am besten da drüben in dem Kaufhaus. Wir warten so lange im Auto.«
Felix war in wenigen Minuten zurück, hatte zwei Badehosen, zwei Handtücher, Sonnenöl, Zeitungen, Zigaretten und Apfelsinen gekauft. Sie trennten sich. Leo und Richard gingen an den Strand, und Felix stieg ins Auto, fuhr los in Richtung Coyuca.
Er war bedrückt. Wenn es den beiden auch gelänge, den Gürtel zu durchbrechen und die Stadt Acapulco und sogar den Staat Guerrero zu verlassen, so wäre es doch nur ein vorläufiger Erfolg. Die Gefahr würde auf Tage, Wochen, Monate hin bestehen bleiben, würde sie ständig begleiten, und sollte man die Flüchtigen auf Grund der Fahndungsfotos irgendwann festnehmen, war es nur eine Frage der Zeit, daß man auch zu ihm kam, zu ihm und zu der Grube mit dem Geld.
Ich muß ihnen, überlegte er, nicht nur Taucherausrüstungen besorgen, sondern auch Haarfärbemittel, vielleicht sogar falsche Bärte und Perücken. Und wenn sie es heute nacht schaffen, rauszukommen, dann erwarte ich sie auf der anderen Seite des Gürtels und fahre sie in die Sierra, schlage den Bogen nach Chilpancingo und bringe sie auf der carretera 95 so nah wie möglich an die Hauptstadt heran. Und vielleicht haben sie dann inmitten der zwanzig Millionen Menschen von México City doch noch eine Chance, bleiben so lange im Untergrund, bis die Fahndung erlahmt und sie sich, vielleicht
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