1986 Das Gift (SM)
ein wenig größer. Sie griff nach der Zeitung, tippte ebenfalls auf das Bild. »Bei mir war er auch, aber nicht vor vier Wochen, sondern vor vier Tagen. Und er sah ganz anders aus.«
Jerónimo lachte. »Und trotzdem bist du dir sicher, daß es derselbe ist?« Er wandte sich zur Tür.
»Das wollen wir Ihnen ja erklären!« rief die Blonde.
»Aber nicht auf der Straße. Und es muß protokolliert werden, ganz genau, und unsere Namen müssen dann auch mit aufgeschrieben werden.«
Jerónimo wandte sich wieder um. »Wegen der Belohnung?« fragte er, und es klang nicht sehr freundlich.
»Ja, auch deswegen«, sagte sie, »und damit man ihn kriegt.«
»Nehmen Sie die beiden nun mit rauf, jefe ?« fragte einer der beiden Polizisten.
»Pablo, was meinst du?«
»Wenn du schon über hundert Hinweisen nachgegangen bist, warum solltest du dann diesen in den Wind schlagen?«
»Okay, muchachas , ich muß erst noch ein paar Telefongespräche führen, aber in fünf Minuten lasse ich euch rufen. Setzt euch solange in den Flur. Pablo, komm!«
11.
Jerónimo legte den Hörer auf und sagte zu Paul Wieland: »Wir müssen uns in die Lage der beiden Männer versetzen, müssen den ganzen Druck nachempfinden, der jetzt auf ihnen lastet, und uns dann überlegen, was wir anstellen würden, um aus Acapulco rauszukommen.«
»Ja, aber willst du nicht erst mal die Mädchen anhören?« »Ach du lieber Himmel! Die hab’ ich ganz vergessen!« Er sah auf die Uhr. »Na ja, versprochen ist versprochen.« Er verständigte die Sekretärin im Vorzimmer, und wenige Augenblicke später trat sie mit den beiden Huren ein. Als alle drei sich gesetzt hatten, sagte er: »Margarita, Sie stenographieren bitte mit und machen anschließend ein Protokoll. Das müssen die beiden dann unterschreiben. So, auf geht’s!«
Wie schon unten an der Tür, begann auch diesmal die Schwarzhaarige:
»Ich hatte also vor vier Wochen einen Kunden. Er war Ausländer, ungefähr vierzig Jahre alt, dunkles Haar, dunkler Bart. Schon als er reinkam, dachte ich …«
»Mädchen«, Jerónimo trommelte mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte, »mach’s nicht so spannend! Wo war das denn?«
»In der casa LA MORENA.«
»Vor vier Wochen, sagst du?«
»Es können auch fünf gewesen sein. Und jetzt hab’ ich den Mann in der Zeitung wiedererkannt.«
»Wann?«
»Heute morgen.«
Jerónimo richtete sich in seinem Stuhl auf. Es war eine heftige Bewegung, und sie paßte zu dem Ärger in seinem Gesicht und zu den Worten, die dann kamen: » Caramba , ich hab’s doch gesagt, ihr seid auf die Belohnung aus, und sonst ist gar nichts! Was sind das für Ungereimtheiten! Du mit deinem luftigen Job willst dich an einen Mann erinnern, den du vor vier oder fünf Wochen als Kunden hattest! Und heute morgen willst du sein Bild in einer Zeitung gesehen haben, die schon vier Tage alt ist! Hört mal, ich habe einfach nicht die Zeit, mich mit euch …«
»Aber sie will es Ihnen doch gerade erklären!« unterbrach ihn die Blonde, und dann wandte sie sich an ihre Kollegin:
»Red weiter, Lupita! Er wird schon merken, wie wichtig die Sache ist.«
Jerónimo fuhr herum und herrschte sie an: »Na, du hast dich doch bloß mit reingehängt, weil du was abhaben willst von ihrer Belohnung.«
»Nicht von ihrer! Ich will meinen eigenen Anteil!« »Aha!«
Aber er fand sich schließlich doch bereit, weiter zuzuhören, zumal Paul Wieland ihm mit der Hand ein Zeichen gemacht hatte, das soviel sagen sollte wie: Nun laß die beiden doch mal!
»Das mit dem Erinnern«, fuhr Lupita fort, »war so: Er fiel mir nämlich auf, weil er so sauber war. Und jetzt kommt die Sache! Er hatte eine Aktentasche bei sich, und als wir uns ausgezogen hatten, machte er sie auf und holte ein Handtuch raus. Er wollte, daß wir erst mal zusammen duschen. Na ja, das tun andere auch, aber die wollen dann nur den Spaß haben. Und manche wollen gar nicht ins Bett; die machen es gleich unter der Dusche. Aber dieser Mann war anders; er hatte Angst vor Schmutz. Und als ich ihm mein Stück Seife hinhielt, hatte er seins schon in der Hand, so ein kleines aus einem Hotel. Und …«
»Welches Hotel?« fragte Jerónimo.
»Das weiß ich nicht. Es war ja schon ausgepackt. Also, der hatte einen Sauberkeitsfimmel. Und nach dem Duschen trocknete er sich mit seinem eigenen Handtuch ab, und dann legte er es auf dem Bett aus.«
»Das nasse Handtuch?«
»So naß war es gar nicht. Er legte es auf das Laken, das aber ganz sauber war. Ist das nicht
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