1986 Das Gift (SM)
Paßkontrollen und im Zoll endlich am Ziel ist, will er ein Taxi haben und nicht Schlange stehen! Ich werde auf der nächsten Sitzung der Asociación de Hoteles meinen Kollegen sagen, daß wir gegen diesen Mißstand energisch vorgehen müssen.
Er dirigierte die Gepäckträger zu seinem Wagen, half, während die Koffer verstaut wurden, den Gästen beim Einsteigen.
Wenige Minuten später lenkte Manolo den Transporter vom Platz, bog ein in die carretera .
Paul Wieland, der wieder neben Manolo saß, drehte sich zu seinen Passagieren um, konnte aber in der Dunkelheit die Gesichter nicht erkennen.
»Willkommen in Acapulco, liebe Landsleute! Wir fahren jetzt in Ihr Hotel. Sie wissen aus dem Prospekt, daß es nicht am Strand liegt, doch glauben Sie mir, das ist kein Nachteil! Die Bucht können Sie von Ihren Zimmern aus sehen, Sonnenbäder können Sie auf Ihren Balkons oder im Garten nehmen, schwimmen in unserer alberca . Natürlich müssen Sie auch ans Meer! Für die Fahrten dorthin steht Ihnen dieser mexicano «, er klopfte Manolo auf den Rücken, »zur Verfügung, und zwar vormittags um zehn und nachmittags um fünf Uhr. Aber nun möchte ich die kleine Viertelstunde dieser Fahrt dazu benutzen, Sie ein wenig einzuführen in Ihren Ferienort. Also: Sie haben eine gute Wahl getroffen, haben sich einen Platz ausgesucht, der zu den schönsten der Erde gehört. Für mich, wenn ich das einflechten darf, ist es der schönste überhaupt. Warum? Hier habe ich fast immer Sonne! Der Regen heute darf Sie nicht erschrecken. Er macht zu dieser Zeit bei uns nur Stippvisiten. Weiter: die Bucht, die mir in keiner Jahreszeit zu kalt ist; dann die üppige Vegetation, zum Beispiel Palmen und Bougainvillea für die Augen, Hibiscus und Jasmin für die Nase, Mango und Papaya für den Gaumen. Aber auch wegen der Menschen, die hier leben, habe ich mir diesen Platz ausgesucht. Die Mexikaner sind ein liebenswertes Volk, und Sie werden erleben, daß gerade wir Deutschen ihre besondere Sympathie genießen …«
Vom Fahrerplatz her erklang ein lautes, fröhliches »Dasisriktik!« Es trug Manolo lebhaften Applaus bei.
Wieland fuhr fort: »Das Verhältnis der Mexikaner zu uns ist wirklich ganz ungetrübt, das zu den Nordamerikanern dagegen recht zwiespältig. Einerseits ist das Land wirtschaftlich eng verflochten mit den USA, andererseits haben die Yankees ihnen den ganzen Norden weggenommen: Florida, Texas, Arizona, Kalifornien. Das passierte vor mehr als hundert Jahren, aber man hat es hier bis heute nicht vergessen. Kann einer von Ihnen mir sagen, in welcher Stadt – nach México City – die meisten Mexikaner leben?«
»Vielleicht Guadalajara?« meinte einer der Gäste.
»Nein«, antwortete Paul Wieland, »es ist Los Angeles. Schon an dieser Tatsache wird die Verflechtung deutlich. Und daß sie kein reines Glück bedeutet, sagt ein altes Sprichwort: ›Pobre de México, tan lejos de Dios y tan cerca a los Estados Unidos!‹ Zu deutsch: Armes México, so weit weg von Gott und so nah bei den USA! Aber diese Bucht, meine Damen und Herren, hat Gott nicht aus den Augen verloren. Wer von Ihnen war denn schon mal hier?«
Er zählte vier Schattenarme.
»Also weniger als die Hälfte. Dann werden Sie mir erlauben, Sie auf einige Sehenswürdigkeiten hinzuweisen. Erkennen Sie linker Hand die vielen Lichter? Das ist nicht nur das erste Hotel auf unserem Weg, es ist auch das erste Hotel am Platz, das ACAPULCO PRINCESS, und dort …«
7.
Noch einmal an diesem Abend verließ Paul Wieland sein REFUGIO. Die Gäste waren versorgt. Manolo hatte ihnen die Zimmer zugewiesen und sich um das Gepäck gekümmert. Soledad hielt sich bereit für den Fall, daß jemand nach der langen Reise noch zu essen wünschte, und für diejenigen, die ihre Fragen nur auf deutsch vorbringen konnten, hatte Paul Wieland seinen Vater in die Rezeption gebeten.
Er ging ein Stück hügelaufwärts. Es war kurz vor Mitternacht, und auf den Straßen herrschte Stille. Nur die Geräusche der noch immer belebten Costera drangen gedämpft herauf.
Er erreichte das große, alte Haus der beiden OrellanaSchwestern, von deren Grundstück er eines Tages die Hälfte erwerben wollte. Maria del Carmen, die ältere, war zweiundachtzig Jahre alt. Sie hatte nie geheiratet. Ihre sechsundsiebzigjährige Schwester Amparo war die Frau eines nordamerikanischen Diplomaten gewesen, aber schon in jungen Jahren Witwe geworden. Paul Wieland mochte die beiden alten Frauen. Vor allem hörte er ihnen gern zu, wenn sie von den
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