1986 Das Gift (SM)
einer Viertelstunde. Sie hatte die Avocados zubereitet, sie geschält, entkernt und mit Salz, Pfeffer und Zitrone gewürzt. Sie brachte auch ein paar Scheiben Toast mit. »Ohne das Brot«, sagte sie, »wär’s ein Schlag gegen die Leber.« Sie stellte die beiden Teller auf den Nachttisch, wandte sich zum Gehen, doch er griff nach ihr. Sie ließ es geschehen, sagte nur: »Ihr Männer habt doch alle das gleiche im Kopf!«
Sie war in der Tat ein Geschöpf, das ein Mann auf Anhieb begehren konnte, war schlank gewachsen, trug ein aufreizend kurzes Kleid. Die beiden oberen Knöpfe waren offen, so daß er den Ansatz ihrer Brüste sah. Ihr schwarzes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, und sie hatte lebhafte, sehr dunkle Augen.
Er zog sie, immer noch auf der Bettkante sitzend, näher zu sich heran, zwischen seine Knie, klemmte sie ein. Seine Hände tasteten sich die Beine hinauf. Wiederum ließ sie es geschehen, und er wunderte sich darüber, wollte wissen, wieso.
»Du hast es also auch im Kopf«, sagte er.
»Nein.«
»Dann eben im Bauch.«
»Da hab’ ich die Wut.«
»Warum denn das?«
»Miguel, mein Mann, ist abgehauen. Er hat mich und die Kinder sitzenlassen. Einfach so …«, sie schnippte mit Daumen und Mittelfinger, »auf und davon, zusammen mit meiner Freundin.«
»Ach, und nun willst du dich rächen?«
»Ich will überhaupt nichts, ich hab’ nur die Wut.« Er stand auf und zog sie hinaus auf den Flur, ging mit ihr ins Badezimmer.
»Was soll das?« fragte sie.
Er wollte sie nicht verletzen, und so sagte er: »Ich fühle mich verschwitzt, bin dieses heiße Klima nicht gewohnt, möchte vorher duschen, und das macht zu zweit mehr Spaß.«
Er zog sie aus, schlüpfte aus seinen Sandalen, streifte Shorts und Hemd ab.
Sie gingen unter die Dusche, und er begann Luisa einzuseifen, machte ein zärtliches Spiel daraus, wusch auch sich selbst, und dann standen sie lange unter dem heißen Strahl, umarmten und küßten sich.
Sie kehrten ins Zimmer zurück, legten sich aufs Bett.
»Schläft die señora schon?« fragte er.
»Ja, aber in einer Stunde muß ich wieder drüben sein. Dann kommt der Arzt. Er kommt jeden zweiten Tag.« Sie sah auf seine Hände. »Hast du keine Frau und keine Kinder?«
»Nein.«
»Bist du geschieden?«
»Nein, ich lebe allein. Aber jetzt habe ich dich.«
Er beugte sich über sie, und dann erlebte er etwas Neues: eine Frau, die es nicht aus Liebe tat und nicht aus Lust und nicht für Geld, sondern vor Wut. Und empfand das als eine faszinierende Variante.
6.
Manchmal fuhr Paul Wieland selbst mit hinaus zum Flughafen, um seine Gäste abzuholen. So tat er es auch diesmal, an einem Abend Ende Mai.
Es hatte geregnet. Das Licht der Straßenlampen spiegelte sich in den großen Pfützen, die auf dem Asphalt standen und nur zögernd abliefen. Die Reifen des mit Sitzbänken und zusätzlichen Fenstern ausgestatteten VW-Transporters pflügten durchs Wasser, und an besonders tiefen Stellen warfen sie es in meterhohen Fontänen zur Seite.
Manolo lenkte das Auto. Paul Wieland saß neben ihm. Der Mexikaner, ein Mischling indianisch-spanischer Abstammung, war vierundzwanzig Jahre alt. Er war tüchtig und zuverlässig und für Paul Wieland der wichtigste seiner Angestellten. Manolo, der mit vollem Namen Manuel López Lizardo hieß, eiferte seinem patrón in vielem nach. Paul Wieland akzeptierte das, weil es auch den Arbeitswillen und das persönliche Engagement für den Hotelbetrieb betraf. Daß Manolo darüber hinaus die gleichen Hosen und Hemden trug wie er und sich sein pechschwarzes Haar ebenfalls sehr kurz schneiden ließ, nahm er gern in Kauf. Beide hatten sie einen dunklen Teint, der eine durch die Sonne, der andere von Geburt her.
Sie waren den Paseo del Farallón hinuntergefahren, stießen nun beim DIANA-Denkmal auf die Uferstraße, umrundeten den riesigen steinernen Kegel des Springbrunnens und fuhren zunächst ostwärts, später dann in Richtung Süden, dem Verlauf der Bucht folgend.
»Ich hab’ ein Problem, don Pablo!«
Paul Wieland warf einen kurzen Blick auf Manolo, aber dessen Gesicht lag im Schatten. »Sag es mir!«
»Man hat mir heute nachmittag den Führerschein weggenommen.«
»Dann fährst du jetzt ohne?«
»Mit der Fotokopie.«
»Was hast du angestellt?«
»Gott hat es angestellt, nicht ich. Er hat einem anderen Fahrer einen Stein in die Windschutzscheibe geschleudert. So groß!« Manolo hielt die geballte Faust ins hereinfallende Licht und fuhr fort: »Ich muß ihn mit dem Reifen
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