1986 Das Gift (SM)
erwischt haben. Er flog gegen den Wagen, der mich gerade überholen wollte. Ich hörte die Scheiben klirren und dann die Bremsen jaulen.«
»Gab es Verletzte?«
»Nein. Trotzdem nahm mir der Polizist eine Minute später die Lizenz weg.«
»Wieso war denn der so schnell zur Stelle?«
»Das war’s ja gerade! Er gehörte zur Eskorte des Wagens.«
»Verdammt!«
»Ja, ein político .«
»Morgen früh geh’ ich zum Transito und bringe die Sache in Ordnung.«
»Danke, don Pablo.«
»Brauchst dich nicht zu bedanken. Mit einem Stellvertreter ohne Führerschein kann ich nicht viel anfangen.«
»Ich hatte aber keine Schuld.«
»Das glaube ich dir, und bei uns in Deutschland würdest du sie auch nicht bekommen.«
»Deutschland!« Manolo nahm für einen Moment beide Hände vom Lenkrad, faltete sie sogar. » Madre mía , wie schön muß es da sein, wo einer wie ich sein Recht kriegt, auch wenn der andere ein político ist!«
»Drüben macht man da keinen Unterschied.«
»Das ist wie im Märchen.«
»Tröste dich, Märchen gibt es überall, auch bei euch. Dies hier …«, Paul Wieland zeigte aus dem Fenster, »ist auch eins. Eure Bucht. Die Sonne. Die Palmen. Für euch sind das Selbstverständlichkeiten, aber für die Fremden, die hier Ferien machen, nicht. Man nimmt immer nur die Märchen der anderen zur Kenntnis.«
»Das sind aber Märchen aus ganz verschiedenen Büchern. Die Sonne und die políticos kann man nicht mit demselben Maß messen.«
»Da hast du allerdings recht, und ich fürchte, bei euch sind es vor allem die Politiker, die das Land heruntergewirtschaftet haben. México ist eins der reichsten Länder der Erde. Ihr habt Kohle, Eisen, Silber, Gold, Kupfer, Zink und noch vieles mehr in eurem Boden, dazu riesige Erdölvorkommen und eine fast zehntausend Kilometer lange fischreiche Küste. Ihr baut Weizen an, Mais, Zuckerrohr, Reis, Baumwolle, Kaffee, Kakao, Tabak und viele Arten von Früchten und … seid das am zweithöchsten verschuldete Land der Welt!«
»Si«, sagte Manolo, »es la corrupción.« Er sagte das, als spräche er vom Regen oder vom Erdbeben, jedenfalls von einer Macht, gegen die es kein Mittel gab.
Paul Wieland nahm das Wort auf. »Ja«, antwortete er, »das ist es wohl, die Korruption. Die findet man zwar überall auf der Welt, aber hier ist sie besonders kraß. Es fließt zuviel Geld in dunkle Kanäle, und das Volk hat darunter zu leiden. Warum laßt ihr es zu, daß sie euch Geld und Güter wegnehmen?«
»Sie nehmen es der Allgemeinheit weg, und die Allgemeinheit, das ist so was Ähnliches wie keiner.«
»Da denke ich aber anders! Ein ganzes Volk hält seinen Kopf hin und kriegt immer wieder eins drauf, und obwohl jeder die Schläge sehr deutlich verspürt, tröstet er sich damit, daß sein ganz persönlicher Kopf ja nicht gemeint ist.«
»Vielleicht«, erwiderte Manolo, »liegt es daran, daß wir im Grunde auch so korrupt sind. Nur haben die meisten von uns keine Gelegenheit, was draus zu machen. Wir bewundern die Leute, die es schaffen, reich zu werden. Ich hab’ einen Vetter, der im Distrito Federal lebt und bei der Polizei ist. Er hat mir erzählt, wie komisch es zugeht, wenn er mal jemandem eine Pistole abnimmt. Er beschlagnahmt sie beim Bürger X, liefert sie aber nicht ab, sondern verkauft sie an den Bürger Y. Gleichzeitig sagt er seinem Kollegen, daß Y jetzt eine Waffe hat. Also geht der Kollege zu Y, beschlagnahmt die Waffe und verkauft sie. Und so weiter.«
»So, und das findest du komisch?«
»Irgendwie ja.«
»Ist es aber nicht. Wenn du dieses System nämlich aufs Ganze überträgst, weißt du, warum es euch so dreckig geht. Ich hab’ auch so etwas gehört: Wenn die Polizisten irgendwo einen Marihuanafang gemacht haben, geht’s ihren Familien erst mal eine Weile gut, denn Marihuana, das ist fast wie Bargeld. Aber ich finde, da hört der Spaß auf. Du sagst, du bewunderst die Leute, die es schaffen, auf diese Weise reich zu werden. Und wie ist es mit dem einstigen Polizeichef von México City, den man kürzlich in Los Angeles festgenommen hat? Bewunderst du den auch?«
»Nein, den nicht! Er hat sein Geld mit Rauschgift gemacht und nebenher die kleinen Ganoven gejagt. Wenn man seinen Palast in Zihuatanejo nicht zum Museum gemacht hätte, würde ich ihn anzünden.«
Sie hatten den Berg und die rechter Hand gelegene kleine Nebenbucht von Pichilingue hinter sich gelassen und stießen auf den Verteilerring. Links ging es landeinwärts nach La Sabana und dann weiter zur großen
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