1986 Das Gift (SM)
millimeterdünnen Drähten erschwert, aber ihm war klargewesen, daß das Prinzip, Fingerabdrücke zu vermeiden, nur bei hundertprozentiger Befolgung erfolgreich sein konnte.
Ein leichter Wind aus Nordost kam auf, und die FLECHA begann zu dümpeln. Alle befanden sich an Deck. Die Sendeanlage war unterhalb der Flying-Bridge montiert. Fernando saß davor auf einem in die Planken verschraubten Drehstuhl. Zwar sollten die ersten Durchsagen per Band erfolgen, aber möglicherweise kam eine vorzeitige Antwort von drüben, und darum mußte er sich bereithalten.
Kurz vor zwei Uhr schaltete Richard den Autopiloten ein, um den Bug der FLECHA und damit das Sendegerät permanent in Richtung auf die Stadt zu halten. Das Band lag in der Kassette, die Diodenleitung führte hinüber zum Sendegerät. Richard nahm den Recorder in Betrieb und drückte auf die Sprechtaste. Um genau zwei Uhr und eine Minute ertönte die Stimme, und die Männer erschraken geradezu, so laut schallte sie über die Bucht: »Ciudadanos de Acapulco: os encontráis en grave peligro, pero aún os podéis salvar …«
»Bürger von Acapulco, ihr seid in großer Gefahr! Aber ihr könnt euch noch retten …«
Und dann spulte der Recorder das Band mit dem von Fernando gesprochenen Text herunter: »… Wir liegen mit einer Yacht in eurer Bucht, genau zwischen den Kaps Punta Grifo und Punta Guitarrón . Das Schiff ist hell erleuchtet und durch einen Speerkranz geschützt, kann also nicht geentert werden. Wir haben an verschiedenen Stellen eurer Stadt Depots angelegt mit Dioxin in einer Konzentration von 1000 ppm. Unser Landkommando hat sie unter Kontrolle. Wir fordern ein Lösegeld von fünfundsechzig Millionen Dollar. Falls wir das Geld nicht bekommen, werden die Dioxinfässer gesprengt. Die Folgen wären verheerend. Wir beschreiben sie euch, aber vorher noch drei Warnungen! Erstens: Schießt nicht auf uns, denn sonst zünden wir die Fässer! Einer von uns hat die Hand ständig am Knopf. Selbst bei einem Volltreffer würde das Dioxin freigesetzt werden, nämlich automatisch. Also, bei Beschuß oder auch nur beim Herannahen eines Schiffes oder Flugzeuges, selbst eines Schwimmers oder Tauchers, gehen die Fässer hoch. Zweitens: Rührt die von uns im Stadtgebiet installierten Lautsprecher nicht an! Ihr würdet, wenn die Geräte ausfielen, ja nicht einmal wissen, ob das Dioxin nicht schon längst durch eure Straßen kriecht. Wir wiederholen: Niemand schießt und niemand rührt die Lautsprecher an! Drittens: Kein Schiff, kein Boot verläßt die Bucht. Ebensowenig darf eins hineinfahren. Der Hafenkapitän muß die Coast Guard verständigen, damit sie jedes ankommende Fahrzeug umdirigiert oder fünfundzwanzig Meilen vor der Küste warten läßt! Und nun zum Dioxin! Ihr wißt wahrscheinlich, daß diese hochgiftige Chemikalie in Italien mehrere Ortschaften verseucht hat. Das Dioxin verursacht schwere Krankheiten und bringt unter Umständen den Tod. Wenn es zur Sprengung unserer Depots kommt, ist Acapulco für mindestens zehn Jahre verpestet. Kein Urlauber der Welt würde die Stadt betreten, und die Menschen, die hierblieben, würden katastrophale Folgen auf sich nehmen. Schwangere Frauen würden Kretins zur Welt bringen, Monsterbabys mit einer Wasserblase statt des Gehirns, einem Rüsselstumpf statt der Nase und mit einem Zyklopenauge auf der Stirn. Schon die geringste Menge Dioxin verursacht diese Schäden. Es genügen wenige Tausendstel Gramm. Wir haben aber mehrere Kilos über eure Stadt verteilt. Wenn wir sie freisetzen, wird Acapulco aufhören zu existieren. Darum: Befolgt unsere Anweisungen genau, dann wird euch nichts geschehen! Dann geben wir die Standorte der Giftdepots bekannt, und ihr könnt zu euren Gewohnheiten zurückkehren. – Jetzt folgt eine Durchsage an den Bürgermeister und an den Polizeichef von Acapulco: Im obersten Stockwerk des Hotels REINA DEL PACIFICO, Zimmer 1610, ist eine Sprechfunk-Anlage installiert, mit deren Hilfe Sie mit uns in Kontakt treten können. Dort werden wir Sie über den Kanal 38 im Bereich 410 bis 430 Megahertz um Punkt drei Uhr rufen. Bis dahin wird die soeben erfolgte Durchsage in Abständen von wenigen Minuten wiederholt.«
Richard stoppte den Recorder, spulte zurück. Das Schnurren des Magnetbandes war nur schwach zu hören, weil es von dem gegen die Bordwand schwappenden Wasser übertönt wurde. Andere Geräusche vernahmen die Männer nicht; das Ufer war zu weit entfernt. Aber sie sahen etwas! In den Hotels gingen die Lichter
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