1986 Das Gift (SM)
wir hinaus!« sagte Paul Wieland.
Die anderen ließen ihm den Vortritt. In wenigen Augenblicken war die Gruppe am Schwimmbecken versammelt, und alle lauschten der Stimme, die so deutlich zu hören war, als käme sie vom Nachbargrundstück. Sie hörten sich den Text bis zum Schluß an, und dann gab Paul Wieland den Inhalt wieder, endete mit den Worten:
»Dioxin also, und zwar in hoher Konzentration. Aber ich meine doch, Sie beruhigen zu können, denn es liegt nicht in der Natur der Spanier und in der der Mexikaner ebensowenig, Selbstmordkommandos durchzuführen. Wenn sie sprengen, vergiften sie sich selbst. Das heißt …«, er überlegte, »sie befinden sich auf einem Schiff und könnten … ach nein, bei einer Flucht würde unsere Küstenwache sie einholen, und dann …« Ihm wurde bewußt, daß er nicht in der Lage war, die Versammelten zu beruhigen, und so sagte er nun: »Es tut mir leid, ich weiß im Augenblick nicht mehr als Sie, werde aber jetzt hinunterfahren und mir Informationen holen.«
Er bat seinen Vater, die Gäste zu beschwichtigen, so gut es eben gehe, nickte Petra zu, die sich ihm, als er zur Auffahrt lief, anschloß. Sie stiegen in den Jeep, fuhren los.
Auf der Avenida del Farallón waren, gemessen an der nächtlichen Stunde, viele Autos unterwegs, und die meisten fuhren nicht hügelab-, sondern hügelaufwärts. Das erstaunte Paul Wieland. Auch Petra fiel es auf, und sie fragte: »Meinst du, daß es schon die ersten Flüchtlinge sind?«
»Vielleicht. Sonst ist es hier um diese Zeit ganz ruhig. Vielleicht sind es Familienväter, die erst mal keinen anderen Gedanken haben als den, ihre Frauen und Kinder aus der Stadt zu schaffen.«
»Leute also, die die Warnung ernst nehmen.« Ihr war plötzlich kalt, trotz der warmen Nacht. Sie rückte ganz dicht an ihn heran.
Sie näherten sich dem DIANA-Denkmal. Etwa zweihundert Meter vor dem Rondell begann der Stau, und die südamerikanische Unsitte, zu hupen, wenn es nicht weitergeht, ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Erst waren nur ein paar vereinzelte Töne da; dann wurden es mehr, und sie wuchsen schnell an zu einem entnervenden vielstimmigen Konzert. Doch nach wenigen Minuten geschah etwas Seltsames. Mit einem Schlage verstummte der Lärm, ohne daß es auch nur einen Meter weitergegangen wäre. Er riß spontan ab, weil etwas anderes, nicht weniger Entnervendes da war: die Stimme. Wieder mahnte sie, drohte Unheil an für den Fall, daß die Stadt sich den Forderungen der Erpresser widersetze, malte mit grauenvollen Bildern die Folgen eines Giftbefalls.
Bis zum Ende der Durchsage verhielten die Autofahrer sich ruhig; danach setzte das Gebrüll ihrer Hupen wieder ein.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Paul Wieland. »Wir sitzen hier fest. Am besten, ich fahr’ den Wagen auf den Bürgersteig und wir gehen zu Fuß.«
»Wohin eigentlich?«
»Für Informationen dürfte das Hotel REINA DEL PACIFICO jetzt der ergiebigste Ort sein. Da ist ja um drei Uhr der erste Kontakt vorgesehen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Falls nicht doch ein bösartiger Spaßmacher oder ein Irrer am Werk ist.«
Er setzte zurück bis auf Stoßstangenberührung, drehte das Steuer hart nach rechts, fuhr wieder vorwärts und parkte den Jeep auf dem Fußgängerweg. Sie stiegen aus, mischten sich unter die Menge, arbeiteten sich vor bis zum Hoteleingang, vor dem nicht weniger als acht Polizisten Posten bezogen hatten.
»Kommen wir denn überhaupt rein?« fragte Petra.
»Wenn der Hoteldirektor oder der Bürgermeister da stünden, wär’s kein Problem; die kenne ich gut. Aber die Polizei läßt uns bestimmt nicht durch. Komm!«
Er zog sie hinter sich her, vom Portal weg, wieder durch die Menge und dann, seitlich an dem großen Quaderbau entlang, zum Strand, schließlich unterhalb der hell erleuchteten Balkons nach rechts. Vor dem rückwärtigen Eingang des Hotels standen nur zwei Polizisten.
»Buenas noches«, sagte Paul Wieland. »Wir müssen dringend mit señor Ibarra sprechen. Er ist der Direktor dieses Hotels.«
Aber das brachte noch keinen Erfolg. Erst ein Dokument, das er aus seiner Brieftasche nahm und das ihn als zweiten Vorsitzenden der Asociación de Hoteles auswies, verschaffte ihnen Einlaß.
Das Foyer, das sie auf einem breiten, mit großen Korkmatten ausgelegten Gang erreichten, bot ein ähnliches Bild, wie sie es vor einer Dreiviertelstunde in der Halle des REFUGIO erlebt hatten, nur mit noch mehr erregten Menschen und mit Bergen von Gepäck. Sie gingen zum Tresen.
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