1986 Das Gift (SM)
an. Hunderte, nein, Tausende der seewärts gekehrten Fenster leuchteten plötzlich auf wie Signale auf einem riesigen Schaltbrett, manchmal ein Dutzend in ein und derselben Sekunde.
»Sie haben uns gehört!« sagte Leo, und seine Stimme klang euphorisch. »Sie sind auf den Beinen, sind aufgeschreckt, haben den Appell verstanden!«
2.
Sie löste sich aus seinen Armen, tat es sehr behutsam, denn sie wollte ihn nicht wecken. Sie setzte sich auf die Bettkante, lauschte. Die Balkontür stand einen Spaltbreit offen, und so hörte sie die Stimme, verstand nichts, wußte nun aber, wovon sie wach geworden war.
Was für eine Rücksichtslosigkeit! dachte sie. Er mag keine laute Musik in seinem Haus, und nun kommen sie ihm mit Reportagen oder Werbesprüchen, und das mitten in der Nacht! Welches Zimmer es wohl ist?
Sie gähnte, legte sich wieder hin. Aber da war er doch aufgewacht. Seine Hand tastete nach ihr. »Es war schön«, sagte er.
»Ja, wunderschön.«
»Wer macht denn diesen Krach?«
»Ich weiß es nicht.« Sie stand auf, öffnete die Balkontür, trat hinaus, hörte:
»… que se trata de un producto altamente tóxico que ha convertido inhabitables diversos lugares de Italia. La dioxina ocasiona enfermedades graves y en muchos casos, la muerte.
Ni un solo turista volvería a poner el pie en estas calles si tuviera lugar la voladura con la que os amenazamos; Acapulco se habría …«
Sie spürte seine Lippen auf ihrer Schulter, drehte sich um.
»Mein Gott, Paul, wovon redet der?«
Nun erst gab auch er auf die Worte acht, lauschte den Hang hinunter.
»… habrían de soportar consecuencias de pesadilla: las embarazadas darían …«
»Das ist kein Hörspiel«, flüsterte sie, »aber was ist es dann?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er und beugte sich – er war nackt wie sie – über die Balkonbrüstung, als könnte der gewonnene halbe Meter ihm die mysteriöse Botschaft deutlicher machen, legte sogar seine Rechte hinters Ohr, und so, in dieser unbequemen Haltung, hörte er sich den Aufruf bis zu Ende an. Dann nahm er sie bei der Hand und zog sie mit sich ins Zimmer.
»Paul, was ist das? Ich hab’ nicht viel verstanden. Kam es aus dem Radio?«
Er nahm sie in die Arme. »Es kommt von der Costera , und es klingt bedrohlich. Vielleicht ist es nur ein Scherz, ein geschmackloser, makabrer Scherz. Wenn nicht, bleibt … ja, dann bleibt nur der Ernstfall. Wir fahren runter an die bahía !«
Er machte Licht. Während sie sich anzogen, erwachte das Haus. Sie hörten Stimmen, Rufe, aufgeregtes Sprechen, hörten, wie Fenster und Türen geöffnet wurden, hörten Schritte. Sie wollten gerade das Zimmer verlassen, da klopfte es.
»Soll ich verschwinden?« Petra zeigte auf die Vorhänge.
»Nein«, sagte er und öffnete die Tür. Draußen stand Manolo. Er war ungekämmt und sah verschlafen aus. Er trug seine weiße mezclilla , den Arbeitsanzug der Tropenbewohner.
» Don Pablo, haben Sie das gehört?«
»Ja, ich komme gleich.«
»Die Gäste sind schon unten und wollen wissen, was los ist.« Erst jetzt hatte Manolo Petra bemerkt, die in der Mitte des Zimmers stand. »Perdone, señorita!«
»Ich komme gleich«, sagte Paul Wieland noch einmal und schloß die Tür. Und wieder nahm er Petra in die Arme, zog sie ganz nah zu sich heran. »Eine merkwürdige Nacht«, sagte er, »sie ist so … so launisch, so widersprüchlich. Erst das wunderschöne Nachhausekommen mit dir und nun diese drohenden Worte.«
»Es scheint kein Mexikaner zu sein«, sagte sie.
»Du hast recht. Er benutzt die spanische Form der Anrede, sagt vosotros und nicht, wie wir, ustedes. Komm!«
Sie verließen das Zimmer, liefen die Treppe hinunter, stießen im Foyer auf eine erregte Menge. Johann Wieland trat auf seinen Sohn zu. »Paul«, sagte er, »ich hab’ nicht alles verstanden, aber doch mehr als die meisten hier. Ist die Sache wirklich so gefährlich, wie sie sich anhört?«
»Wenn ich das wüßte!«
Mittlerweile hatten alle den Hausherrn entdeckt. Sie verstummten, blickten ihn fragend an. Es waren viele Deutsche darunter, und so sagte er in seiner Muttersprache:
»Liebe Gäste! Im Grunde bin ich so ratlos wie Sie. Ich habe den Text nicht von Anfang an gehört, aber soviel ich mitbekommen habe – und vorausgesetzt, es ist kein übler Scherz –, wird Acapulco von Gangstern bedroht, die ein paar Fässer mit Gift ausgelegt haben und sie sprengen wollen, wenn man nicht tut, was sie verlangen. Ich bin …«
Jemand rief dazwischen: »Es fängt wieder an.«
»Gehen
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