1986 Das Gift (SM)
Zitrone eingelegt und scharf gewürzt; nicht jedermanns Sache, aber für mich eine Delikatesse. Guacamole ; zerdrückte Avocados, angerichtet mit Tomatenstückchen, Zwiebeln, Koriander und grünen Pfefferschoten. Cayote ; eine Kürbisart, ähnlich der Kalabasse, die du sicher kennst. Oder nehmen wir pollo con chile y ajo ? Aber es gibt auch tacos , also fleischgefüllte tortillas , die du bestimmt schon gegessen hast.«
»Ja.«
»Oder möchtest du tamales ? Maisgrieß, entweder süß oder herb-würzig, auf jeden Fall eingewickelt in die großen Maisblätter. Und zum Schluß vielleicht Papaya?«
»Die heute bitte nicht! Hab’ schon eine Riesenportion davon gegessen. Dein Vater zeigte mir den Garten und schenkte mir eine.«
»Hat sie dir denn geschmeckt?«
»Ja, sehr.«
»Also weiter! Vielleicht guayaba , eine Art Birne, ein Myrtengewächs; von dieser Frucht gibt es dreißig verschiedene Sorten.«
Wie sie vor ein paar Stunden dem Vater gelauscht hatte, der ihr die Blumen und Bäume im Garten beschrieb, so lauschte sie nun dem Sohn. Sie hatte Freude an den vielen exotischen Namen, aber auch an ihm, an seinem Eifer. Wie schön wäre es, dachte sie, wenn ich langer bleiben könnte.
»Langweile ich dich auch nicht mit meinen Essensvorschlägen?«
»Keine Spur! Ich dachte nur gerade, daß mir nicht mehr genügend Zeit bleibt, um das alles zu probieren.«
»Vielleicht hängst du doch eine oder zwei Wochen dran? Und das nicht nur wegen der Speisen!« Er griff nach ihrer Hand. »Bitte«, sagte er, »mir liegt sehr viel daran!«
»Mir auch«, antwortete sie, »aber es ist unmöglich. Der Tag meiner mündlichen Prüfung liegt schon fest.«
»Wann ist sie?«
»In zwei Monaten.«
»In zwei Monaten erst? Dann könntest du …«
»Nein, wirklich nicht!«
Er überlegte eine Weile, sagte dann: »Aber wenn das Examen überstanden ist, kriegt man doch irgendwas Schönes zur Belohnung! Dürfte ich dir einen Flugschein Hamburg-México schenken?« Immer noch hielt er ihre Hand, nahm nun sogar seine Linke zu Hilfe. »Ich bitte dich, Petra, komm wieder! Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als daß du wiederkommst, sobald wie möglich!« Er ließ ihre Hand los, wartete auf die Antwort.
»Und wenn du diesen Wunsch in zwei Monaten gar nicht mehr hast?«
»Glaub mir, ich werde ihn haben! Und ich werde in die Hauptstadt fahren, um dich dort abzuholen. Und dann sag ich: Willkommen in meinem Land!«
»In ›meinem Land‹? So sehr liebst du es?«
»Ja. Hättest du nicht Lust, mit mir zusammen das Hotel zu führen und in ein paar Jahren ein zweites dazuzubauen?«
»Bitte, laß mir Zeit!«
»Einverstanden.« Er winkte den Kellner heran.
Sie bestellten ceviche , den rohen Fisch also, dann tacos , Eis und eine Flasche weißen Rioja. Als sie wieder allein waren, blickte Paul Wieland noch einmal auf die Speisekarte.
»Hier ist ein schönes Gericht für morgen«, sagte er, »aber das können wir zur Abwechslung auch mal im REFUGIO essen: pollo con mole poblano . Weißt du, was das ist?«
»Huhn, nicht wahr?«
»Ja, aber mit einer ganz besonderen Sauce. Dazu gibt es eine Geschichte. Möchtest du sie hören?«
»Gern. Ich hab’ meine Examensarbeit über spanische Sagen und Legenden geschrieben. Nun kommt sicher eine, bei der es mir leidtut, sie nicht verwendet zu haben.«
»Es ist eine mexikanische; das heißt, im Grunde auch eine spanische, und so hätte sie vielleicht in deine Sammlung gepaßt. Als die Spanier in dieses Land gekommen waren, überlegten die Indiofrauen voller Verzweiflung, wie sie sie wieder loswerden könnten, und kamen auf die Idee, daß wohl am ehesten schlechtes Essen die Männer vertreiben würde. So brauten sie eines Tages, als hohe spanische Offiziere bei ihnen zu Gast waren, einen wahren Teufelsfraß zusammen, griffen haßerfüllt in ihre Vorratskästen und gaben ein ganzes Sammelsurium in die kochende Hühnerbrühe: die Samen von grünen und schwarzen Pfefferschoten, Anis, Erdnüsse, Ajonjoli, Nelken, Knoblauch und Zimt, Zwiebeln und Schokolade, altes Brot, Reste von tortillas , Schweinefett, Rosinen, Tomaten und was weiß ich noch alles. Als das Gebräu fertig war, setzten sie es den Spaniern vor und warteten tückischen Blicks auf die Wirkung. Die Gäste schnupperten, probierten, erst vorsichtig, dann entschiedener, schlossen genüßlich die Augen, aßen weiter, und dabei verklärten sich ihre Gesichter. Sie leerten die Teller, verlangten mehr. Na, und das Ende vom Lied: Sie blieben im Lande! Und was sie da verzehrt hatten,
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