199 - Schlacht der Giganten
Wolken auf. »Siehst du nicht, dass sie kommen?«
Cahai hörte auf zu jubeln und zu tanzen und blickte nordwärts. Victorius blinzelte ein paar Mal und sah dann ganz genau hin: Die rötliche Wolke war eine Staubwolke. Unter ihrem oberen Rand entdeckte er die Umrisse eines großen ovalen Dings. Ein Brechreiz würgte ihn plötzlich.
»Setzt euch hin, Gedankenmeister, damit die anderen eurem Beispiel folgen«, verlangte der Greis. »Nehmt euch an der Hand und vereinigt eure Gedankenkräfte! Mit der Nacht wird auch der Feind kommen!«
Victorius schloss die Augen und seufzte tief. Er dachte an seine Mutter, an seine Brüder und Schwestern. Sogar zu seinem strengen Vater wanderten seine wehmütigen Gedanken.
Irgendjemand griff nach seiner Hand und hielt sie fest.
***
Etwas war anders als sonst. Etwas stimmte nicht.
Vor dem Kerkergitter hockte Aruula auf ihren Fersen. Mal beobachtete sie ihren Sohn, mal lauschte sie nach allen Seiten.
Daa’tan tauchte allmählich aus seiner Bewusstlosigkeit auf, und außerhalb des Felsens herrschte Aufregung. Aruulas Geist ertastete Empfindungsfetzen von Angst, Triumph und Hass.
Irgendein Kampf tobte da draußen. Schritte näherten sich, der Turbanträger und zwei Anangu erschienen im Lichtkreis der Wandfackeln. Der Heiler hatte seine weiße Truhe dabei.
Aruula biss enttäuscht die Zähne zusammen. Was für ein Kampf auch immer in der Umgebung des Uluru ausgebrochen sein mochte, er hatte den Alten offenbar nicht von seinem Weg zu Daa’tans Kerkergrotte abhalten können.
Der Wächter öffnete die Zellentür, die drei Männer gingen zu Daa’tan hinein, und der alte Heiler spritzte dem Jungen das Betäubungsmittel.
Etwas war dennoch anders als sonst. Die Anangu schienen nervöser, der Turbanträger bleicher und fahriger als noch vor zwölf Stunden. Auch den Wächter schien eine unerklärliche Unruhe befallen zu haben. Aruula hatte keine Erklärung dafür.
Sie schloss die Augen und versuchte die Gedanken der Männer zu belauschen. Sie spürte Angst und Entschlossenheit, und sie sah eine schwarze Wolkenbank über dem Horizont. Blitze zuckten aus den Wolken. Das Quietschen der Gittertür vor Daa’tans Kerker riss sie aus ihrer Konzentration. Sie öffnete die Augen. Der Wächter verriegelte die Kerkertür. Zwölf bis fünfzehn Stunden würde das Betäubungsmittel nun wieder wirken; bis in die Morgenstunden der kommenden Nacht.
Schon im Gehen begriffen, blieb der alte Heiler noch einmal stehen und drehte sich nach Aruula um. »Der Feind ist auf dem Weg zu uns. Wenn die Sonne sinkt, wird er hier sein. Bete zu deinem Gott, dass der HERR siegreich bleibt, sonst werdet ihr die Nacht nicht überleben. Du nicht, und auch dein Sohn nicht!« Er wandte sich ab. Eskortiert von den schwarzen Kriegern verschwand er im Halbdunkel des Ganges.
Aruula zog die Schultern hoch. Sie fröstelte. Die Schritte der Männer verhallten. Der Strohsack raschelte, als der Wächter sich darauf niederließ. Die Worte des Heilers gellten ihr in den Ohren. Der Feind ist auf dem Weg… wenn die Sonne sinkt, wird er hier sein…
Sie strich sich über die nackten Arme und Schultern. Aruula dachte an die scheußliche Flüssigkeit, in der die Anangu ihren Körper gebadet hatten. Abgesehen von der Erinnerung an den grauenvollen Schmerz spürte Aruula keinerlei Wirkung mehr.
Doch die Gewissheit, dass sie in ihr war – in ihrer Haut, in ihren Muskeln – hatte sie nie mehr verlassen.
Die Gewissheit, eine lebende Bombe zu sein…
***
Schon neigte der Tag sich wieder. Ein ereignisreicher Tag.
Bevor er begonnen hatte, war Ulros überzeugt gewesen, den Sonnenaufgang nicht mehr zu erleben.
Er lebte noch. Und er brannte darauf, dem HERRN zu beweisen, dass er es wert war zu leben.
Der Erste Wächter des Uluru hockte in einem Unterstand nicht weit entfernt vom Eingang zum Höhlensystem. Zehn Schritte neben ihm stand ein Käfig. Ein massiger, pelziger, schwarzer Körper lag darin. Die Lupa des Weißhaarigen. Ihre Flanke hob und senkte sich im Rhythmus ihrer Atemzüge.
Manchmal zuckten ihre Ohren, manchmal bewegten sich die Lefzen über den doppelten Zahnreihen, manchmal fegte der buschige Schwanz über den Käfigboden. Zwei Anangu wachten links und rechts des Käfigs. Sie hockten auf dem felsigen Boden und hielten ihre Speere zwischen den Knien fest.
Schritte hallten. Ulros blickte nach rechts. Der Gedankenmeister mit dem schwarzen Turban verließ die Höhle. Seine bewaffneten Begleiter blieben davor stehen. Der
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