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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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acht, als John Conally, ein junger Schwarzer aus Norfolk/Virginia, das schwerbeladene Tablett hereinbrachte.
»Und jetzt möchte ich eine Stunde lang ungestört bleiben!« sagte Nielson. Conally, der diese Order seit Antwerpen jeden Morgen zu hören bekommen hatte, nickte nur kurz und verschwand.
Nielson verriegelte die Tür, wartete noch ein paar Minuten und klopfte dann dreimal an die Wand der bodega. Prompt kam als Antwort das gleiche Klopfzeichen. Daraufhin öffnete er die Kammer, indem er zwei der insgesamt acht vertikal über die Wand verlaufenden Zierleisten umklappte und ein etwa sechzig Zentimeter breites Türblatt aufzog.
Eberhard Leuffen trat ein. Obwohl er nur einen Bademantel trug, wirkte er imposant. Er war sehr groß, hatte volles, dunkelblondes, aber an den Schläfen schon leicht ergrautes Haar. Die Blässe seines Gesichts war auf den bereits eine Woche währenden Aufenthalt in der fensterlosen bodega zurückzuführen. Daß er dennoch vital wirkte, lag vor allem an seiner Mundpartie, deren stark ausgeprägte Konturen Entschlossenheit und Energie verrieten. Fast zwanzigmal hatten die beiden Männer einander nun schon gegenübergesessen, und noch immer war Nielson sich nicht klar darüber, ob der stets abwartende Blick der braunen Augen auf Vorsicht oder Verschlagenheit hindeutete.
Leuffen grüßte mit einem saloppen »Morgen, Käpt’n!«.
Nielson antwortete: »Guten Morgen! Ich hoffe, Sie haben heute besser geschlafen als gestern.«
»Danke, wesentlich besser.« Die beiden flüsterten; es war ihnen schon zur Gewohnheit geworden. »Ich habe den Eindruck«, fuhr Leuffen fort, »daß der Wind sich etwas gelegt hat.«
»Stimmt. Wir haben jetzt Stärke sechs, aber selbst bei Windstärke zwölf hätten Sie immer noch die beruhigende Gewißheit, niemals tiefer stürzen zu können als die zwanzig Zentimeter Ihrer Matratzenhöhe.«
Leuffen lächelte. »Ja, das ist ein Trost. Müßte auch im übertragenen Sinne gelten, wo man bekanntlich ebenfalls tief stürzen kann.«
Nach diesen Worten ging er ins Bad, und Nielson dachte: Genau das, den tiefen Sturz, will er wohl verhindern, indem er mit der CAPRICHO das Weite sucht! In einer der deutschen Zeitungen, die hin und wieder an Bord kamen, hatte er von einer grandiosen Durchstecherei gelesen, mittels derer der Boß eines Milliardenunternehmens jahrelang seinen Vorstand, seine Mitarbeiter, ein ganzes Heer von Aktionären und eine Vielzahl von Banken getäuscht hatte und dann mit mindestens zweihundert Millionen in der Versenkung verschwunden war.
Der Mann war auch abgebildet gewesen, und obwohl man in der Regel Fotos von fremden Menschen schnell aus dem Gedächtnis verliert, hatte er beim ersten Anblick seines Schützlings sofort an diesen Fall gedacht. Bis jetzt hatte es allerdings noch keine Beweise dafür gegeben, daß der wirklich jener Mann war, aber auch keine dafür, daß er es nicht war. Bestimmt, dachte Nielson, benutzt er einen falschen Namen, und später, nach der Ankunft in Veracruz, wird es wieder ein neuer sein, damit seine Spur sich verliert.
Leuffen kam aus dem Bad, und dann saßen die beiden Männer einander beim Frühstück gegenüber. Sowenig der ockerfarbene Bademantel nach der Kleidung eines führenden Unternehmers aussah, sowenig entsprach Nielsons Aufzug dem eines Kapitäns: keine Jacke mit goldenen Ärmelstreifen, kein Hemd mit Goldlitzen auf den Schultern; nur ein grobgestrickter dunkelblauer Pullover und dazu eine graue, an Gesäß und Knien leicht abgewetzte Cordhose. Rasiert hatte er sich zuletzt in Antwerpen. Der silbern schimmernde Bewuchs wirkte ungepflegt, war noch kein richtiger Bart. Mit der Frisur hatte er keine Probleme. Da er oft in warme Zonen fuhr, hatte er sich für einen Bürstenschnitt entschieden, an dem der Steward nicht viel verderben konnte. Das kurze, dichte Grauhaar erinnerte an einen Römerkopf, zumal ein gutgeschnittenes Gesicht hinzukam, wie er überhaupt bei mehr Sorgfalt in Körperpflege und Kleidung einen stattlichen Schiffsführer hätte abgeben können. Aber schon mit der Uniform haperte es. Sie hing, durch Plastikhülle und Mottenkugeln geschützt, in seinem Schrank. Jahrelang hatte er sie nicht angerührt, und vermutlich paßte sie gar nicht mehr, denn er hatte in letzter Zeit etwas zugenommen.
»Wo werden Sie eigentlich leben?« fragte er und musterte seinen Gast, der bereit war, das Fünfzigfache der normalen Passagekosten hinzublättern. Die eine Hälfte davon hatte er schon entrichtet, die andere war in

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