1991 Atlantik Transfer (SM)
Veracruz zu zahlen.
»Es ist besser für mich und auch für Sie, wenn Sie es nicht wissen«, lautete die Antwort.
»Mag sein. Ich hab’ nur versucht, mir vorzustellen, was wohl als Ersatz für einen Chefsessel – denn einen solchen haben Sie doch sicher aufgegeben – in Frage kommt.«
»Nur etwas mit viel mehr Freiheit!«
Nielson nickte. »Ja, die Freiheit«, sagte er, und es klang sehnsüchtig.
»Sie sagen das so, als fehlte sie Ihnen auch; aber wer, wenn nicht ein Kapitän, sollte sie haben?«
»Das war einmal. Heute jagen wir mit der Uhr im Nacken um den Globus, und in den meisten Häfen reicht die Zeit nicht mal für einen kurzen Landgang. Selbst ein Hunderttausend-Tonnen-Erzfrachter wird an einem einzigen Tag beladen, und wenn man das miterlebt, kommt man nicht zu romantischen Empfindungen.«
»Na, Sie fahren doch einen eher gemütlichen Dampfer!«
»Nun ja, er ist schon alt und ziemlich klein, und in mancher Hinsicht macht er seinem Namen alle Ehre. Aber um das rasante Laden und Löschen kommen auch wir nicht herum.
Kein Reeder kann heutzutage mithalten, wenn er seine Schiffe noch immer wie Anno dazumal belädt und entleert. Ein Container ersetzt schließlich eine Vielzahl an Säcken, Fässern und Kisten, die früher alle einzeln verstaut und hervorgeholt werden mußten.«
»Wann hat das eigentlich angefangen mit den Containern, und wer hatte die Idee?«
»Soviel ich weiß, ist das Prinzip eine Erfindung der amerikanischen Marine, die im Zweiten Weltkrieg den Nachschub für die Truppen beschleunigen mußte. Und was sich da bewährt hatte, war dann im Frieden auch gut für die Handelsschiffahrt.«
»Also mal wieder die Amerikaner, die den Ton angegeben haben.«
»Ja. Und wie drastisch diese Veränderung zu Buche schlägt, belegen zwei Zahlen. Die Lade- und Löschkosten pro Tonne waren vor der Einführung der Container zehnmal so hoch wie jetzt und die Kosten der Schäden etwa zwanzigmal so hoch.
Aber die beschauliche Liegezeit ist natürlich verlorengegangen.
Bei den Supertankern geht es noch schneller. Die fahren ja nicht mal mehr in die Häfen ein, sondern werden an vorgelagerten künstlichen Inseln be- und entladen, und der Weitertransport des Öls erfolgt durch Pipelines. Für die Mannschaft bedeutet das meistens den Verzicht auf Landgang.«
»Sie haben recht, die Romantik ist raus aus der Seefahrt.«
»Ja, und ich fürchte, es geht mit der Entwicklung, wie auf allen Gebieten, noch weiter. Denken Sie an die Luftkissenfahrzeuge! Wenn der Atlantik nicht seine hohen Wellen hätte, würde man die Flitzer wahrscheinlich auch da schon eingesetzt haben, aber als Dickschiffe mit sechzig Knoten. Das wäre, von der Zeit her gesehen, eine transatlantische Lkw-Fahrt. So ein Schiff würde die Strecke Liverpool-New York in fünfzig Stunden schaffen.
Ein Alptraum, jedenfalls für mich! Aber da gibt es ja noch ganz andere Perspektiven. Das U-Boot von morgen! Es ist nicht mehr der tückisch lauernde Jäger, sondern der Massentransporter, der Großraumtanker, der, um schneller am Zielort zu sein, unter dem Polareis hindurchtaucht. Den Hein Mück, der an der Reling steht und tiefsinnig übers Meer sieht, gibt’s dann erst recht nicht mehr.« Nielson lachte einmal kurz auf. »Gemütlicher Dampfer, sagten Sie vorhin. Das war einmal. Vor über vierzig Jahren – ich war damals Matrose – haben wir mal einen Bechsteinflügel von Bord gehievt, in Callao. Das Ding war mit Kissen und Tüchern abgepolstert und mit Brettern verschalt.
Das war gemütlich, denn es ging langsam, und mindestens zwanzig Indio-Hände schoben und zogen und drückten. Aber das Schöne war: Die Besitzerin, die von Boston mitgereist war, die Frau eines amerikanischen Diplomaten, schnappte sich einen unserer Klappstühle und bezog Posten auf dem Kai, um die Aktion zu beaufsichtigen. Ein herrliches Bild, wie sie da auf der Pier saß, mit einem Fächer gegen die vierzig Grad anwedelnd und ihr kostbares Instrument keine Sekunde aus den Augen lassend. Direkt neben ihr nahmen die Männer den Koloß in Empfang und sorgten dafür, daß er ganz sanft aufsetzte. Die Frau gab jedem der Beteiligten einen halben Peso; das war ein gutes Trinkgeld. Das Ganze hat fast eine Stunde gedauert. Ja, so was nenne ich gemütlich. Heute belädt man die Schiffe per Computer, der genau ausrechnet, wie die Container zu verteilen sind. Und dann kommen die Kräne, die gar nicht mehr wie Kräne aussehen, sondern wie die Stahlgerüste von großen Werkhallen. Sie kommen angerollt, packen
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