1992 Das Theunissen-Testament (SM)
»Aber versuchen sollten wir’s, und ich sehe gute Chancen, daß es klappt.«
»Ich lass’ mir die Sache durch den Kopf gehen«, sagte John und stand auf. »Ich muß weg. Frau Asmussen hat mich mal wieder total verplant. Ein Termin jagt heute nachmittag den anderen.«
»Sei froh«, meinte Helga, »daß du sie hast! Sekretärinnen von ihrem Zuschnitt sind nicht leicht zu finden. Was liegt denn als erstes an?«
»Das weiß ich noch gar nicht.«
Es war eine Lüge, aber er wollte jetzt keine weiteren Irritationen schaffen. Er wußte, daß ihm in einer halben Stunde zwei Männer gegenübersitzen würden, mit denen er an diesem Tag lieber nicht zusammenträfe. Dr. Krogmann und Olaf. Sie hatten sich angemeldet, ohne den Anlaß für ihren Besuch zu nennen.
5
Als er in der Reederei eintraf, waren die beiden schon da. Er bat sie in sein Büro. »Einen Kognak?« fragte er.
»Gern«, antwortete Krogmann, »und Sie und Ihr Vetter sollten auch einen nehmen. Sie werden ihn brauchen.«
»Das klingt nicht gut«, meinte John und sah dann Olaf fragend an. Doch der zog kurz die Schultern hoch und antwortete: »Ich weiß von nichts. Dr. Krogmann rief mich an und sagte, es gebe etwas Wichtiges zu besprechen. Was es ist, wollte er mir nicht verraten.«
»Ich lege Wert darauf«, erklärte Krogmann, »daß Sie beide gleichzeitig von der Sachlage erfahren.« Sie hatten Platz genommen, und die Gläser waren gefüllt.
»Na, dann mal raus mit der Hiobsbotschaft!« sagte John und trank seinen Besuchern zu.
»Ist eher ’ne Freudenbotschaft«, erwiderte Krogmann. Er stellte sein Glas auf den Tisch zurück und fuhr fort: »Allerdings nur für denjenigen, der auf dem mörderischen Parcours nach sechs Jahren gewonnen haben wird. Um es kurz zu machen: Das Erbe hat sich vergrößert.«
»Was?« fragte Olaf, und John reagierte ähnlich erstaunt: »Wieso denn das?«
Krogmann zog ein mehrseitiges, zweimal gefaltetes Schreiben aus der Innentasche seiner Jacke. »Der Bankdirektor López Vergara und Rechtsanwalt Dr. Esteban Merino Sánchez in Valparaiso, den der Nachlaßrichter in Hamburg dem Testament entsprechend auf meinen Vorschlag hin zum weiteren Testamentsvollstrecker ernannt hat, teilen mir mit, daß Claas Theunissen geerbt hat.«
»Geerbt?« John lachte. »Von wem denn bloß?« fragte Olaf.
»Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Onkel in seinem langen Leben eine ganze Reihe von, sagen wir mal, innigen Beziehungen zu Damen gehabt hat?«
»Ja, das wissen wir«, antwortete John. »Er war ein Weiberheld.«
»Warum denn gleich so drastisch?« fragte Olaf und fügte hinzu: »Ein Casanova war er.« Krogmann schmunzelte.
»Als ob Casanova kein Weiberheld gewesen wäre«, verteidigte sich John.
»Streiten wir nicht um Begriffe!« Krogmann entfaltete den Brief und legte ihn auf den Tisch. »In Antofagasta«, sagte er dann, »starb vor vier Wochen, fast achtzigjährig, die Witwe Serafina Muñoz Wilkinson. Ihr Mann, Charles Wilkinson aus Birmingham, hatte ihr, als er im Jahre 1979 starb, unter anderem seine Anteile an den Kupferbergwerken EL TENIENTE und CHUQUICAMATA hinterlassen und dazu eine kupferverarbeitende Fabrik am Stadtrand von Santiago. Dort lagerten, als die alte Dame vor einem halben Jahr ihr Testament machte, neuntausend Tonnen Kupfer in einer Reinheit von 0,98, und die liegen auch jetzt noch da. Nicht die Aktien, wohl aber dieses Kupfer hat sie, wie sie formuliert, in Erinnerung an eine schöne gemeinsame Zeit Claas Theunissen oder dessen Erben vermacht.«
»Also muß es durch zwölf geteilt werden«, warf John ein. »Nein«, antwortete Krogmann und überflog einige Passagen des Briefes. »Hier steht’s!« sagte er dann. »Merino zitiert Frau Muñoz wie folgt: ›Sollte Claas Theunissen zum Zeitpunkt meines Todes schon verstorben sein, so geht das Kupfer an die Person oder an die Personen, die er zu seinem oder seinen Haupterben bestimmt hat. Hat er kein Testament gemacht, fällt es den anderen in meinem Testament aufgeführten Personen zu gleichen Teilen zu.‹«
»Merkwürdig«, meinte John, »daß sie die Erben von Onkel Claas nur dann bedenkt, wenn sie testamentarisch eingesetzt sind, nicht aber, wenn es sich um die gesetzlichen Erben handelt.«
»So merkwürdig ist das nicht«, entgegnete Krogmann. »Sie dokumentiert damit eine Einstellung, die der Ihres Onkels nahekommt. Niemand soll nur deshalb etwas erhalten, weil er zufällig zu Claas Theunissens Familie gehört. Denjenigen aber, den Claas selbst für würdig gehalten hat, seinen Besitz zu
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