1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Nicht nur die Zeit, sondern auch die Qualität der Schur geht in die Wertung ein.
»Ja«, antwortete er nun, »ich war damals schneller, aber du warst besser. Also, auf ein neues! Jetzt geht es um Schiffe, und der Preis ist keine Taschenuhr, sondern ein Imperium. Allerdings wäre mir diesmal eine andere Konstellation lieber gewesen, zum Beispiel wir beide gegen die anderen zehn. Wir hätten sie mit Bravour geschlagen.«
»Onkel Claas hat’s aber so nicht gewollt«, antwortete John. »Was wirst du mit deinem Holzhandel machen? Ihn nebenher weiterbetreiben?«
Olaf schüttelte den Kopf. »Dafür hab’ ich von nun an keine Zeit mehr. Mein Sohn ist zwar noch nicht ganz soweit, aber er muß den Laden trotzdem übernehmen. Und dein Geschäft?«
»Vielleicht setze ich einen tüchtigen Mitarbeiter auf meinen Stuhl, denn einen Nebenjob wird es auch für mich nicht geben. Der alte Claas hat sich was gedacht bei diesem Wettkampf, hat den totalen Einsatz gewollt. Packen wir’s an!«
»Daß ich dir dabei eine glückliche Hand wünsche, kann ich nicht gerade sagen.«
»Dito, mein Lieber.«
»Aber unsere schönen Erinnerungen sollten wir trotzdem nicht vergessen.«
»Hast recht. Bitte, grüß zu Haus!«
»Du auch!«
Jeder stieg in seinen Wagen, John in einen dunkelbraunen OPEL CARAVAN, Olaf in einen grünen HONDA PRELUDE mit der Firmenaufschrift THEUNISSENHOLZ IM- UND EXPORT. Es war ein denkwürdiger Tag für die beiden, die im Alter von fast fünfzig Jahren überraschend vor der Aufgabe standen, den Beruf zu wechseln.
Wenn die Reederei, wie Dr. Krogmann versichert hatte, auch mit pedantischer Genauigkeit in zwei gleiche Teile getrennt werden würde, so lag doch, rein zufällig, ein kleiner Vorteil auf Seiten Olafs. Immerhin betrieb er den internationalen Holzhandel seit fünfundzwanzig Jahren und wußte daher über Seetransporte Bescheid. Fast täglich hatte er es zu tun mit so exotischen Kürzeln wie fob für free-on-board gelieferte Ware oder cif für cost, insurance and freight, die Kombination aus Warenwert, Versicherung und Frachtkosten, mit Begriffen also, die auch ganz allgemein in der Schiffahrt eine Rolle spielten. Mehrfach hatte er aus der Stadt seines Onkels, aus Valparaiso, chilenisches Caoba-Holz geliefert bekommen, einmal sogar in Santiago einen Geschäftspartner besucht und dabei auch in Valparaiso auf dem Cerro Alegre Station gemacht. Ja, alles in allem war Olaf nicht nur der Seefahrt, sondern wohl auch dem Verstorbenen ein wenig mehr verbunden als John.
2
Die erste Zeit war mörderisch. Für John wie für Olaf hatte der Tag zwölf, vierzehn, ja, manchmal sogar sechzehn Arbeitsstunden, oft genug auch an den Wochenenden. Anfangs ließen sie sich gemeinsam unterrichten, vorwiegend durch die Prokuristen Thormeier und Wessel. Sie lernten, daß die Frachtabteilung es mit Bulkware, auch Schüttgut genannt, zu tun hatte, und mit Containern und Stückgut, ferner mit Naßfracht wie Öl, auch mit Gas, schließlich noch mit Passagieren, die, beförderungstechnisch gesehen, beim Ein- und Ausklarieren als Teil der Ladung galten. Ebenso nahmen sie auf, daß die Reederei die großen Bulkcarrier weitgehend in eigener Regie hatte, und zwar auf der Basis langfristiger Verträge mit Firmen wie KLÖCKNER, MANNESMANN und GUTE HOFFNUNGS HÜTTE. Dagegen schloß sie bei Container- und Stückgutfahrten time-charters ab, die im Durchschnitt neun bis zwölf Monate liefen. Der Charterer hatte die Brennstoffkosten, die Hafengebühren, das Lotsengeld und die Klarierung zu tragen, und alle anderen Kosten, etwa die für das Personal und die Schiffserhaltung, gingen zu Lasten des Reeders. Sie erfuhren, daß die Befrachter Assmann und Kramer sich für ihre Abschlüsse entweder alter geschäftlicher Beziehungen bedienten oder aber Broker einschalteten, die ihren Sitz in New York, London, Tokio und Hamburg hatten. Sie hörten und erlebten es dann auch in der Praxis, daß diese Broker lästig werden konnten, indem sie – einmal eingeschaltet – fortan der Reederei mit immer neuen Offerten im Nacken saßen. Nicht selten wurden die Verhandlungen mit ihnen zum Pokerspiel, bei dem es darauf ankam, die Nerven zu behalten. Ihre Lehrer sprachen auch über Linien-Reedereien, von denen es nicht mehr viele gab, weil die Bindung an feste Routen und Zeitpläne immer unrentabler wurde. Viel mehr lohnte sich da die wilde Trampfahrt, bei der die Schiffe oft im letzten Augenblick, manchmal sogar erst nach dem Auslaufen, ihr Ziel genannt bekamen und die in
Weitere Kostenlose Bücher