1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
machen.«
»Er weiß genau, wenn er das täte, käme die Polizei.«
»Aber vorhin sagte ich, und Sie stimmten mir zu, daß die Polizei ihn wahrscheinlich wieder laufenlassen würde.«
»Stimmt, aber er selbst kann davon nicht ausgehen, und darum wird er sich hüten, seine private Gefangenschaft freiwillig gegen die staatliche einzutauschen. Ich bin sicher, wenn wir ihm jetzt einen Telefonhörer in die Hand drückten und ihm die Nummer des nächsten Reviers gäben, würde er auflegen.«
Sie deckte den Tisch, aber beide bekamen nur ein paar Bissen hinunter und schoben dann ihre Teller beiseite. »Heute abend«, sagte er, »haben wir vielleicht mehr Appetit.«
»Es ist alles so neu«, sagte sie, »für Sie wohl auch.«
»Absolut neu. Wir müssen solche Grausamkeiten erst noch lernen, im Crash-Kurs.« Er holte sich Vogts Sachen heran, die noch immer auf dem Tisch lagen, zog eine Guest-Card aus der Brieftasche. »Er wohnt also im Hotel VIERLANDEN. Da gibt’s mindestens dreihundert Zimmer. Ich glaub’, ich sollte mal hinfahren, denn mit dieser Karte krieg’ ich an der Rezeption seinen Zimmerschlüssel. Profis wie er sind sonst ja mit allen Wassern gewaschen, und wenn er uns blutigen Laien trotzdem in die Hände gefallen ist, so nur, weil er im Haus einer Nachbarin nun wirklich nicht mit einer Attacke rechnen konnte. Ihr kleiner Sketch ›Mutter und Sohn‹ hat die Täuschung dann noch perfekt gemacht. Sie waren phantastisch.«
»Aber innerlich hab’ ich gezittert.«
»Das glaub’ ich Ihnen gern. Wissen Sie was? Ich könnte sogar mit seinem Wagen vorfahren, falls ich den finde!« Er nahm den Autoschlüssel in die Hand.
»Ist das alles nicht viel zu gefährlich? Was, wenn Sie sich im Hotel den Schlüssel geben lassen, damit aufschließen, und dann ist es ein Doppelzimmer, und der zweite Mann erwartet Sie mit gezogener Waffe, weil Vogt längst überfällig ist! Vielleicht gibt es die Vereinbarung, daß der, der unterwegs ist, von Zeit zu Zeit anruft.«
»Donnerwetter, daran hab’ ich noch gar nicht gedacht! Diese Möglichkeit besteht durchaus. Ich muß mich darauf einstellen. Auf jeden Fall ist es gut, daß auch ich bewaffnet bin.« Er klopfte leicht gegen seine Jackentasche.
»Trotzdem, seien Sie vorsichtig!«
»Na klar! Und Sie ebenfalls! Selbst wenn er mit den Füßen gegen die Blechwände der Heizung donnert. Nicht runtergehen! Gar nicht drum kümmern!«
Er verließ das Haus, hatte zwar nach wie vor Bedenken, sich auf offener Straße sehen zu lassen, überwand sie jedoch. Sein Plan hatte Vorrang.
Schon nach etwa hundert Metern glaubte er den Wagen gefunden zu haben, denn er wußte, welche Marken die Nachbarn fuhren, und diesen Honda hatte er in seiner Gegend noch nie gesehen.
Der Schlüssel paßte. Er stieg ein, durchsuchte als erstes das Handschuhfach, fand dort außer den Wagenpapieren den Leihvertrag und einen Führerschein, beides ausgestellt auf den Namen Elmar Vogt. In den Seitenfächern der Türen steckten ein Ledertuch und ein Stadtplan von Hamburg, und ein kurzer Blick nach hinten überzeugte ihn davon, daß auf den Rücksitzen nichts lag.
Er startete. Bis zum Hotel brauchte er fünfundzwanzig Minuten, fand dort einen Parkplatz.
Wie vermutet, gab es an der Rezeption keine Schwierigkeiten. Die Guest-Card war Legitimation genug. Die junge Angestellte händigte ihm den Schlüssel aus, und dann fuhr er mit dem Lift in den vierten Stock.
Auf dem Gang sah er sich um, entdeckte nichts, was sein Vorhaben gefährden könnte, ging weiter, hatte nach wenigen Augenblicken die Tür gefunden, klopfte. Wenn jemand öffnen sollte, würde er einfach sagen, er suche einen Herrn X oder Y, der nach seiner Kenntnis in diesem Zimmer wohne. Aber von drinnen kam keine Antwort. Er klopfte ein zweites und ein drittes Mal. Keine Reaktion. Noch einmal sah er in beiden Richtungen den Gang entlang, erblickte niemanden, schloß auf, schlüpfte hinein.
Ihn erstaunte der Komfort des Hotels. An Geld fehlt es ihm also nicht, dachte er. Wird wohl stimmen, was in der Zeitung stand, daß nämlich viele SED-Funktionäre und vor allem auch hohe Stasi-Offiziere ihre geheimen Fonds hinübergerettet haben in die neue Zeit.
Es war tatsächlich ein Doppelzimmer, und so sah er sich als erstes im Bad um, stellte fest, daß die privaten Toilettenartikel jeweils nur einmal vorhanden waren, ging zurück ins Zimmer und untersuchte den Schreibtisch, fand darin aber nur unbenutztes Briefpapier mit der Hoteladresse und einige Prospekte. Die Nachttische
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