1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
kehrten zu ihrem Gefangenen zurück. Er lag neben dem Heizkörper, genauso, wie sie ihn verlassen hatten. Kämmerer überprüfte die Fesseln, sie hatten sich nicht gelockert. Frau Engert holte eine Matratze vom Dachboden, und dann gingen sie, zunächst noch ohne Vogt, hinunter in den Heizungsraum, legten dort die Matratze aus. Kämmerer hielt auch Ausschau nach Gegenständen, an denen Vogt sich die Fesseln zerreiben könnte, fand nichts, prüfte dann die Tür. Sie war, wie Frau Engert gesagt hatte, aus dickem Stahl. Das Schloß funktionierte einwandfrei.
Sie wollten es nun schnell hinter sich bringen, gingen wieder nach oben, lösten die Leine vom Heizkörper. Dann packte Kämmerer den Gefesselten mit beiden Händen am Oberkörper und schleifte ihn über den Flur und die Kellertreppe hinunter. Im Heizungsraum legte er ihn auf die Matratze.
»Ich komme bald wieder«, sagte er zu ihm, »und dann reden wir miteinander. Ich bin sicher, es gibt viel zu besprechen.«
Vogt antwortete nicht, blickte nicht einmal auf.
Ein verstockter Bursche! dachte Kämmerer. Aber ich laß mir was einfallen. Ich komme nur voran, wenn er auspackt.
30
Luise Engert hatte sich nun doch entschlossen zu kochen. »Soll ich aus den beiden Steaks drei Portionen machen?« fragte sie.
»Nein«, antwortete Kämmerer, »erst mal muß der Mann sich bewähren.«
»Er kriegt also überhaupt nichts zu essen?«
»Vorerst keinen einzigen Bissen. Hungrige Menschen, denen eine Mahlzeit winkt, sind mitteilsamer als satte. Ich geh’ jetzt zu ihm.« Er steckte Vogts Pistole in die Jackentasche, bat Frau Engert um einen Eimer, bekam ihn, sogar einen mit Deckel, ging aus der Küche, über den Flur, die Treppe hinunter, schloß die schwere Stahltür auf. Das Licht hatten sie in dem fensterlosen Raum brennen lassen.
Vogt lag auf der Matratze. Er rührte sich nicht, als Kämmerer eintrat.
»Herr Vogt – ich rede Sie mal so an, obwohl Sie mit Sicherheit anders heißen –, hier ist Ihr Eimer, Ich werde in Abständen kommen und Ihnen die Handfesseln lösen. Dann können Sie ihn benutzen. Aber geben Sie sich keinen Illusionen hin! Sie haben dabei die Pistole im Nacken. Sie kennen ja die Foltermethoden, kennen Sie von drüben, haben sie wahrscheinlich selbst oft genug angewandt. Einzelhaft, Dunkelhaft, Essensentzug, stundenlange Verhöre, Schläge. Und dazu dann noch die psychischen Finessen. Eins vorweg. Sie bleiben in diesem Raum. Es gibt keinen Quartierwechsel, an den Sie die Hoffnung auf Entkommen knüpfen könnten. Der Ort ist gut. Er liegt jenseits aller Erwägungen, die Ihre Hintermänner nun vielleicht anstellen. Niemand wird Sie also finden. Ja, und was ich Ihnen an Maßnahmen aufgezählt habe, ist mein Mindestprogramm. Es läßt sich ergänzen. Fest steht schon mal, daß Sie erst dann was zu essen kriegen, wenn Sie sich als kooperativ erweisen.« Er machte eine Pause.
»Jetzt wissen Sie also Bescheid«, fuhr er dann fort, »und ich komme zu meiner ersten Frage. Wo ist Frank Kopjella?«
Vogt hob zwar den Blick, aber seine Antwort blieb aus.
»Also Fehlanzeige. Die nächste Frage. Waren Sie es, der damals, als unsere Flucht nachgestellt und gefilmt wurde, meinen Sohn Tilmann gespielt hat? Georg Schöller hatte ja meinen Part übernommen, und die Regie, nehme ich an, führte Kopjella. Oder war es Fehrkamp? Doch zurück zu Ihnen! Haben Sie Tilmann dargestellt?«
Vogt schwieg.
»Na gut, ich muß wohl für ein paar Anreize sorgen. Wenn Sie jetzt reden, gibt es ein Stück Fleisch, dazu Gemüse und Kartoffeln und auch einen Kaffee. Später gibt es nur noch Kartoffeln und am Ende nichts als ein Glas Wasser. Das ist die Phase der passiven Maßnahmen. Da geht’s nur ums Weglassen, um die Streichungen auf der Speisekarte. Danach folgt die aktive Phase, und Sie sollten sich nicht einbilden, Normalbürger wie Frau Engert und ich seien gar nicht fähig, Unmenschlichkeiten zu begehen. Das wäre ein Trugschluß. Ich zum Beispiel brauche nur an meinen Sohn zu denken, und schon hab’ ich das Zeug zum Barbaren. Das geht ganz schnell. Zwei Fragen noch. Wie starb mein Sohn?«
Schweigen.
»Wo ist sein Grab?«
Schweigen.
Kämmerer ging, schloß hinter sich ab.
»Wie lief es?« empfing ihn Frau Engert.
»Er ist stumm wie ein Fisch. Nachher versuch’ ich’s wieder. Und bitte, Frau Engert, keine humanitären Anwandlungen! Ich brauche den Mann hungrig.«
»Ist mir klar. Warum ruft er eigentlich nicht um Hilfe? Damit könnte er doch die Nachbarschaft auf sich aufmerksam
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