1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Halle verbracht hatte, und manchmal bewirkte der enge Zusammenhalt sogar, daß sie innerlich gefeit waren gegen die dreisten Einmischungen von außen. Einmal hatte Tilmann, er war damals vierzehn, einen gewissen Fred Müller ins Haus gebracht. Der hatte sich seine Zuneigung mit Hilfe von Karl-May-Büchern erschlichen, die er ihm bereitwillig lieh. Es waren die schönen, in dunkelgrünes Leinen gebundenen, die mit den aufregenden Bildern obendrauf. Eines Tages ertappte Tilmann ihn dabei, wie er sich die Titel der im Bücherbord seines Vaters stehenden Werke notierte. Sie saßen sich am Wohnzimmertisch gegenüber und machten Hausaufgaben. Zunächst war es Tilmann gar nicht aufgefallen, daß sein Gast, der ein Jahr älter war als er, zwar ein Heft vor sich liegen hatte, aber kaum etwas hineinschrieb, weil er nebenher oder vielmehr zur Hauptsache mit einer Liste beschäftigt war, die er zwischen den Seiten versteckt hielt. Doch dann bemerkte er die angestrengten Blicke des anderen und sah auch, wie das Erspähte Eingang fand in das verborgene Register.
»Was machst du da?« fragte er.
»Ach, nichts.«
Mit der Ruppigkeit seiner vierzehn Jahre griff Tilmann blitzschnell über den Tisch hinweg nach dem geheimnisvollen Papier, warf einen Blick darauf und erkannte, daß dort Verfasser und Buchtitel verzeichnet waren, die – so viel politischen Verstand hatte er bereits – zu Schwierigkeiten führen konnten. Das Blatt in der Hand, rannte er aus dem Zimmer. In der Küche, wo der Vater das Abendbrot machte, rief er: »Fred ist ein Spion!« und warf die brisante Zusammenstellung auf den Tisch.
Das Ereignis lag nun schon so lange zurück, und dennoch hatte Paul Kämmerer es ganz genau vor sich.
»Ein Spion?«
»Ja, er hat aufgeschrieben, was für Bücher wir haben.« Tilmann schilderte seine Beobachtungen und wie er Fred den Zettel weggenommen hatte und sagte dann: »Den Kerl schmeißen wir sofort raus!«
»Er tat bestimmt nur, was sein Vater wollte. Der ist hier der Schäbige, einmal, weil er überhaupt solche Schnüffeleien anzettelt, und zum anderen, weil er dafür seinen eigenen Sohn mißbraucht.«
Im Wohnzimmer fanden sie dann einen bedrückten Fred vor, der stammelnd und hochroten Kopfes mit den Hintergründen seiner gescheiterten Mission herausrückte.
Paul Kämmerer nahm einen Schluck von seinem Bier, stellte es zurück auf den Fußboden und zündete sich eine Zigarette an. Der Garten lag jetzt in tiefer Dunkelheit. Nur ganz vorn, dort, wohin noch das Licht der Terrassenlampe fiel, sah er die gelben Tagetesblüten, aber in der künstlichen Helle wirkten sie viel weniger vital als am Tage.
Ich machte Tilmann damals klar, wie wichtig für Heranwachsende die Väter sind. Etwa so. Ihr Wort gilt, und was sie tun, ist nachahmenswert. Sie sind Leitfiguren, und das wird schon ganz früh deutlich, dann nämlich, wenn die kleinen Mädchen am liebsten Ihren Papi heiraten und die Jungen den väterlichen Beruf ergreifen wollen, wie wenig erstrebenswert der vielleicht auch ist. Und schließlich untermauerte ich meine Worte mit dem eigenen Beispiel, nämlich der Verehrung, die ich von früh auf an für meinen Vater empfunden hatte.
Für einen Moment hatte er auch jetzt, während Hamburg sich schlafen legte, er jedoch von Erinnerungen wach gehalten wurde, das Bild seines Vaters vor Augen, des Forstmeisters Julius Kämmerer, der ihn so oft mitgenommen hatte auf seine Streifzüge durch die Wälder. Aber gleich darauf meldete Tilmann sich zurück mit einer weiteren Episode aus der Kinderzeit.
Der Junge war drei Jahre alt und spielte in der Wohnung eines mit der Familie befreundeten Ehepaares. Es hatte keine eigenen Kinder, und daher waren die Steckdosen ungesichert. Die Erwachsenen saßen am Tisch, und Tilmann kroch, mit einem kleinen, ihm vom Gastgeber überlassenen Werkzeugkasten befaßt, auf dem Fußboden herum. Natürlich war es das falsche Spielzeug, nur hatte sich im Haushalt nichts anderes gefunden, und es schien ja auch, als sei der Junge mit den zwei Dutzend Einzelteilen, unter denen sich ein kleiner Hammer, eine Zange, eine winzige Schraubzwinge und ein Flitbohrer ebenso befanden wie Schellen und Schrauben, vollauf zufrieden. Aber dann! Mit einer Zielstrebigkeit, als gehörten der etwa zwölf Zentimeter lange Bohrer und die neben dem Schrank in der Wand sitzende Steckdose unbedingt zusammen, bewegte sich Tilmann, das aus einem einzigen Metallstück hergestellte Werkzeug in der Hand, auf eben diese Steckdose zu und war im
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