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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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er wurde doch, wenn ich mich richtig erinnere, wieder gesund. Er kam doch erst ins Jugendgefängnis, nachdem man ihn als geheilt aus der Klinik entlassen hatte.«
    »Ja, aber dann soll er bei einem Verhör gestorben sein.« »Einem …«
    »Ja, bei einem Verhör.«
    »Diese Halunken! Diese gottlosen Halunken! Tilmann
    war fast noch ein Kind, fünfzehn, sechzehn Jahre alt!« »Sechzehn. Ich hab’ erst vor ein paar Tagen erfahren, daß er tot ist. All die Jahre war ich ohne Lebenszeichen.«
    »Aber wie um alles in der Welt bei einem Verhör? Das ist … , na ja, ganz so überraschend, wie es mir zunächst erschien, ist es wohl doch nicht. Mittlerweile weiß man ja sehr genau, wie die Herren sich aufgeführt haben. Wenn man ihren eitlen Schwachsinn nicht schluckte, halfen sie gern nach, und im Gefängnis hatten sie freie Bahn dafür. Mein Bruder saß drei Jahre in Bautzen. Als er nach Hause kam, war er total verstört. Es hat lange gebraucht, bis seine Frau und wir Geschwister ihn wieder ins Lot kriegten.« Keller machte eine Pause, strich sich mit beiden Händen mehrmals durchs Haar, sagte dann: »Vielleicht möchten Sie etwas trinken?«
    »Nein, danke. Also, meine Frage an Sie ist, ob man Sie damals, wie die anderen Lehrer, über den Jungen ausgehorcht hat. Ich war zweimal in Ihrer Schule, hab’ Sie aber nicht angetroffen.«
    Keller klopfte auf seine Bauchdecke. »Mein Magen rebelliert seit langem. Es ist schlimm, wenn ein Land seine Leute krank macht. Ja, bei mir war man auch. Es hieß, Sie hatten eine Fluchtorganisation aufgebaut und regelrechte Schulungsabende abgehalten. Ich weiß noch, die waren ganz wild auf Namen von Personen, die Kontakt zu Ihnen gehabt haben. Schließlich nannten sie ein paar sogar von sich aus, natürlich in der Hoffnung, ich würde sie bestätigen. Tat ich aber nicht. Da handelte es sich um Menschen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, und nun wollten die Burschen wissen, ob die an Ihrem Fluchtunterricht teilgenommen hatten. Gruppenbildung war ja geradezu ein Reizwort für die Häscher.«
    »Ich habe weder eine solche Organisation gegründet noch je einer angehört.«
»Das glaub’ ich Ihnen gern. Aber irgend jemand muß der Stasi diesen Floh ins Ohr gesetzt haben, und die reagierte entsprechend nervös. Über Ihren Tilmann wollten sie alles mögliche wissen, politische Einstellung, Charakter, Leistungsstand. Sogar seine Schulaufsätze haben sie sich geben lassen.«
»Mein Gott! Der Junge hat nie ein Blatt vor den Mund genommen.«
»Ich weiß, besonders deshalb mochte ich ihn.«
»Können Sie sich erinnern, wer die Aktion durchgeführt hat? Mit wie vielen Leuten kamen sie? Wie sahen sie aus? Wissen Sie womöglich Ihre Namen?«
»Zwei waren es, der eine schon recht betagt und der andere noch ganz jung. Sie hätten Großvater und Enkel sein können. Der Alte zog das Bein nach. Wie sie hießen, weiß ich nicht mehr.«
Das mit dem Bein hatte keiner von Kellers Kollegen erwähnt, vielleicht auf Grund einer Verabredung, ja, das war sogar wahrscheinlich, denn acht Personen konnten ein so auffälliges Merkmal nicht allesamt übersehen haben.
»Ob der Mann Fehrkamp hieß?«
»Wirklich, da muß ich passen. Kann auch sein, daß gar keine Namen genannt wurden. Diese Kerle traten ja auf, als kamen sie vom Herrgott persönlich.«
Kämmerer nickte. »Die beiden scheinen untergetaucht zu sein«, sagte er dann, »wie so viele andere. Gab es sonst noch irgendwas Auffälliges im Verlauf Ihrer Befragung?«
»Nein, da war nur das, was ich schon erwähnt hab’. Ach ja, sie wollten noch wissen, wie es um Tilmanns Beziehung zu seinem Elternhaus stand. Aber dazu konnte ich nichts sagen. Ich wußte ja nicht mal, daß der Junge keine Mutter mehr hatte. Das erfuhr ich erst später.«
»Haben Sie schon mal den Namen Frank Kopjella gehört?«
»Frank Kopjella? Nein.«
»Man nannte ihn meistens nur den Major. «
»Tut mir leid, das sagt mir nichts.«
Kämmerer stand auf. »Ich danke Ihnen. Darf ich Sie, falls mir noch die eine oder andere Frage einfällt, anrufen?«
»Selbstverständlich.«
Keller brachte seinen Gast an die Tür. »Ich wünsche Ihnen, daß Sie die Schuldigen finden«, sagte er.
»Danke.«
Sie gaben sich die Hand, Kämmerer ging zum Wagen.
Als er im Hotel ankam, war es Mittag geworden. Er hatte keinen Appetit, und so ließ er die Mahlzeit ausfallen, legte sich aufs Bett. Am Nachmittag wollte er noch zum Friedhof gehen.
Seine Gedanken kreisten um den Film, mit dem man Tilmann hatte beweisen

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