1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
ist nicht mehr da.«
»Stand denn irgendwas Brisantes drin?«
»Nicht die Spur. Nur das, was man innerhalb der Familie so schreibt. Meistens ging es um die Kinder.«
»Ja, dann werd’ ich jetzt aufbrechen«, sagte Kämmerer, »hab’ Ihre Zeit schon lange genug beansprucht. Nur eine Frage bitte noch! Ich suche nach diesem Kopjella und weiß nicht mal, wie er aussieht. Haben Sie ein Foto von ihm? Vielleicht eins von Ihrem Vater, auf dem er mit drauf ist, also ein Gruppenbild?«
»Das könnte sein. Ich seh’ gleich mal nach.«
Sie verließ das Zimmer, und Hubert Dillinger sagte:
»Da findet sich bestimmt etwas. Der Kontakt zwischen meinem Schwiegervater und Kopjella war ziemlich eng. Ja, man kann sagen, sie waren befreundet. Horst Fehrkamp war sogar der Patenonkel eines seiner Kinder.«
»Er hat Kinder?«
»Ja, einen Jungen und ein Mädchen, die jetzt natürlich längst erwachsen sind. Soviel ich weiß, studieren sie hier in Hamburg, Oswald Betriebswirtschaft und Annegret, wenn ich mich richtig erinnere, Slawistik.«
Kämmerer notierte sich die Namen und die Studienfächer und sagte dann: »Über die beiden müßte doch zu erfahren sein, wo er steckt.«
»Schwerlich. Wenn eine Familie intakt ist, und das war sie meines Erachtens, hält sie zusammen. Sollten Sie sich entschließen, zu den Kindern Verbindung aufzunehmen, möchte ich Ihnen empfehlen, vorsichtig zu sein. Sie würden vermutlich nichts erfahren, aber denen etwas Entscheidendes mitteilen, nämlich daß Sie hinter ihrem Vater her sind. Die Folge wäre, daß die vier, also Eltern wie Kinder, doppelt auf der Hut sind.«
»Ich würde sie auf keinen Fall direkt fragen.«
»Also Observierung?«
»Vielleicht ja. Ich könnte jemanden damit beauftragen.«
»Privatdetektive haben jetzt sicher Hochkonjunktur in Sachen Stasi. Waren Sie eigentlich schon bei der GauckBehörde?«
»Ja, als einer der ersten. Aber es war vergeblich. Allerdings galten meine Nachforschungen damals nicht dem Major; von dem wußte ich noch gar nichts. Nein, ich suchte nach der Akte über unsere Flucht, denn ich ging davon aus, daß die Stasi die archiviert hatte. Nichts. Nicht ein einziger Vorgang, keine Notiz. Also hat man die Akte rechtzeitig verschwinden lassen. Und jetzt noch mal anzufragen, diesmal unter dem Kennwort Kopjella, wäre wohl genauso vergeblich. Wer meine Akte beseitigt hat, wird auch alle Unterlagen über die damals beteiligten Stasi-Offiziere vernichtet haben.«
»Ich würde es an Ihrer Stelle trotzdem versuchen.«
Frau Dillinger kam zurück mit vier Bildern in der Hand. Sie setzte sich, legte die Fotos nebeneinander auf den Tisch. »Sie sind vom sechzigsten Geburtstag meines Vaters«, sagte sie, »an dem Frank Kopjella die Festrede gehalten hat. Hier«, sie zeigte auf die ganz links liegende postkartengroße Aufnahme, »steht er allein am Pult. Auf den restlichen ist er zusammen mit anderen zu sehen. Aber, Herr Kämmerer, mein Vater war jetzt zweiundsiebzig! Die Fotos sind also zwölf Jahre alt.«
»Das macht nichts. Wer die Mitte des Lebens überschritten hat, den verändert ein Jahrzehnt oder auch mehr nicht wesentlich. Würden Sie mir die Bilder ausleihen?«
»Natürlich.«
Er nahm das Einzelfoto in die Hand, betrachtete es, fand den dort abgebildeten Mann nicht auf Anhieb abstoßend, wie er’s eigentlich erwartet hatte. Na ja, dachte er, ein Festredner posiert eben, und da tritt das Böse, wenn es denn vorhanden ist, nicht zutage. Der Mann war etwa vierzig Jahre alt, hatte volles dunkles Haar und wache Augen, über denen ebenfalls dunkle, dichte Brauen saßen. Und er lächelte. Besonders dieses Lächeln irritierte ihn, weil es so ganz und gar nicht zu dem paßte, was mit Tilmann geschehen war.
Das Ehepaar Dillinger ließ ihm Zeit, wohlwissend, daß dieser Moment sehr wichtig war für ihn. So besah er sich auch noch die anderen Aufnahmen. Bei zweien blieb eine nachhaltige Wirkung aus, denn auf ihnen verlor sich der Mann im Getümmel von zehn, zwölf Personen, die alle, gleich ihm, in Uniform waren und offenbar das vor ihnen aufgebaute Büffet begutachteten. Die letzte Aufnahme zeigte nur vier Männer. Als er es in die Hand nahm, deutete Frau Dillinger auf den ältesten in der Gruppe. »Das ist mein Vater«, sagte sie.
Er sah ihn sich an, fand auch ihn nicht abstoßend, wandte aber gleich darauf seine ganze Aufmerksamkeit wiederum dem forsch wirkenden Major Kopjella zu. Es ist das alte Lied, dachte er. Mörder tragen keine Zeichen mit sich herum.
Er steckte die Bilder
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