1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Haufen Lügen auftischen, und vielleicht gelingt es ihm sogar, ein paar Zeugen ranzuschleppen, die er später an dem Deal beteiligt. Kurzum, wir wissen nicht, was kommt. Wir können auffliegen, morgen, in fünf Jahren, irgendwann. Denk nur mal an Fehrkamps Dossier! Wäre es in die falschen Hände geraten, säßen wir jetzt in der Scheiße. Für einen solchen Fall, ob er nun uns alle oder einzelne von uns betrifft, müssen wir gewappnet sein, um dann den Teil der Anschuldigungen vom Tisch zu fegen, der erstunken und erlogen ist, weil ein paar raffgierige Ossis den Hals nicht voll genug kriegen können. So gesehen, ist das, was bei uns lagert, nicht ausschließlich belastendes Material. Unter den genannten Umständen würde es im einen oder anderen Fall sogar zur Entlastung dienen. Nimm Tilmann Kämmerer! Vielleicht hat irgendein Wichtigtuer dem Vater erzählt, sein Sohn sei hingerichtet worden. Mit unseren Dokumenten, vor allem mit den Gefängnisunterlagen, wäre einer solchen Anschuldigung wirksam zu begegnen. Sicher, das Archiv ist ein Brandsatz, das bestreite ich nicht, aber es kann auch zum Feuerlöscher werden.«
»Mir fällt da grad was ein«, sagte Schmidtbauer. »In dem Film, in dem ich Tilmann Kämmerer gespielt hab’, wirkte auch ein Häftling mit, der …«
»Schöller«, warf Kopjella ein, »Georg Schöller.«
»Stimmt«, sagte Kornmesser, »auf diesen Namen bin ich in der Akte gestoßen.«
»Ein windiger Bursche«, ergänzte Kopjella, »und wer weiß, an den könnte Kämmerer bei seinen Nachforschungen geraten! Er lebt jetzt in Halle.«
»Also ein weiteres Risiko«, stellte Kornmesser fest. »Aber keine Sorge! Ich werd’ mich drum kümmern.«
»Gibt es ein Foto von Paul Kämmerer?« fragte Schmidtbauer.
»Leider nein.«
Sie hatten noch viel zu besprechen, und so wurde es eine lange Nacht. Gegen drei Uhr trennten sie sich. Kopjella und Schmidtbauer gingen erst einmal hinaus in den Patio, um sich eine Zigarette anzuzünden. Der Oberst, der Nichtraucher war, duldete zwar weitgehend das Laster seiner Kameraden, aber in einem Zimmer, in dem er anschließend schlafen würde, durfte nicht geraucht werden.
Kopjella war niedergeschlagen. »Zum Kotzen finde ich diese Entwicklung!« sagte er. »Für uns beide! Du mußt dir die Hände schmutzig machen, und ich sitze völlig allein am Arsch der Welt.«
»Ich werde mich beeilen.«
»Wir haben keine Ahnung, wie clever Kämmerer ist. Wenn ihm nichts anderes einfällt, als zur Polizei zu gehen und danach Däumchen zu drehen, hast du leichtes Spiel, ich fürchte nur, er wird’s dir schwermachen.«
»Warten wir ab! Soll ich mal mit deinen Kindern sprechen?«
»Das wäre gut, denn sie wissen ja noch gar nichts von meiner Umsiedlung nach Spanien. Aber denk dran, das geht nur unter Wahrung größtmöglicher Vorsicht!«
»Natürlich. Und was meinen Auftrag anbelangt, so rechne ich damit, ihn in spätestens vierzehn Tagen erledigt zu haben.«
»Würde mich freuen.«
»Wenn du nichts von mir hörst, rufst du in der Herbertstraße an. Im Notfall hinterlasse ich ’ne Nachricht bei Max. Und du weißt, der und sein Puff gehen Kornmesser nichts an.«
20
Das schäbige Hotelzimmer gab Paul Kämmerer zwar das Gefühl, vorläufig in Sicherheit zu sein, aber an Wohlbefinden war nicht zu denken. Bett, Nachttisch, Schrank, Deckenleuchte, alles schien vom Trödler zu stammen. Doch die Wäsche war sauber, und das war ihm, neben der Sicherheit, das Wichtigste. Auf Komfort kam es jetzt nicht an.
Es war elf Uhr morgens. Er saß auf dem Bett und rieb sich die Stirn, litt unter starken Kopfschmerzen. Er hatte kaum geschlafen. Die Zimmerwände waren dünn, und nebenan hatten ein paar Männer fast die ganze Nacht getrunken und gelärmt. Einmal war er auf den Flur gegangen, hatte an ihre Tür geklopft und um Ruhe gebeten. Die Reaktion war ein grölendes Gelächter gewesen, so als wollte man ihm beweisen, daß die Lautstärke sich durchaus noch steigern ließ. Er hatte sich dann beim Nachtportier beschwert, aber der hemdsärmelige Bursche hatte nur kurz von seinem Comic-Heft aufgeblickt und gesagt: »Nun lassen Sie die Jungs doch mal feiern! Der eine hat Geburtstag.«
Erst gegen Morgen war Ruhe eingekehrt, doch da hatte er den Tag schon beginnen müssen, weil es viel zu tun gab. Als erstes mußte er sein Aussehen verändern, denn der Überfall auf das Fotogeschäft machte deutlich, daß mit der Gegenseite nicht zu spaßen war.
Er hatte sich also das Haar auf Bürstenschnitt stutzen und
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