1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
schätze, da bin ich sicherer.«
Wieder überlegte sie eine Weile, und dann kam ihr Vorschlag:
»Wenn Sie wollen, überlasse ich Ihnen mein Gästezimmer. Es hat ein eigenes Bad, und niemand käme Ihnen in die Quere. Sie könnten vom Fenster aus kontrollieren, ob sich irgendwas tut. Sich auf den Zufall verlassen, also, das bringt doch nichts, und darum bin ich der Meinung, Sie sollten da oben einziehen. Dann könnten wir beide, im Schichtwechsel sozusagen und mit einem festen Dienstplan, die Observierung durchführen.«
Ein paar Sekunden lang war er sprachlos, aber schließlich erwiderte er: »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll! Auf der einen Seite wäre es die ideale Maßnahme, auf der anderen möchte ich Ihnen das nicht zumuten.«
»Papperlapapp! Ich bin gesund, langweile mich zu Tode, habe noch sehr gute Augen, und auch mein Gehör funktioniert einwandfrei. Was spräche also dagegen, es so zu machen?«
»Die Leute, mit denen ich es zu tun habe, kennen keine Skrupel.«
»Und wenn schon! Die kommen nie und nimmer auf die Idee, daß Sie hier sind, keine zwanzig Schritte von Ihrem Haus entfernt.«
Er wußte, sie hatte recht. Und hinzu kam. Ihr Vorschlag war erfolgversprechend, denn mit Sicherheit würden die anderen bei seiner Privatadresse ansetzen.
»Es wäre Ihnen also wirklich recht, wenn ich hier mit meiner Zahnbürste aufkreuzte?«
»Sonst hätte ich’s nicht gesagt.«
»Danke, Frau Engert! Vielleicht bin ich morgen bei Ihnen.«
Er stand auf. »Darf ich mir ein Taxi rufen?«
»Natürlich.«
Er telefonierte, und wenige Minuten später hupte es vor der Haustür.
Auch Frau Engert stand nun auf.
»Wie gefährlich sind diese Leute?« fragte sie dann noch.
»Sehr, denn sie haben nichts mehr zu verlieren. Wollen Sie’s nicht doch noch einmal überdenken, das mit dem Zimmer?«
»Ich bezieh’ schon mal Ihr Bett«, sagte sie, und es klang, fand er, geradezu kämpferisch.
21
Warten, warten, warten.
Wird man irgendwann dafür belohnt, ist es ja in Ordnung, dachte Paul Kämmerer, aber ich glaub’, ich hab’ schlechte Karten.
Ja, er wähnte sich auf verlorenem Posten, hielt es für unwahrscheinlich, daß Kopjella an diesem Abend tatsächlich in der Jarrestraße auftauchen würde, um seine Kinder zu besuchen. Wenn er trotzdem im Sichtschutz eines auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten VWBusses ausharrte und unablässig hinüberstarrte zu dem fünfgeschossigen Altbau, so nur, um überhaupt einen ersten lokalen Ansatzpunkt vor sich zu haben.
Er hatte schon gestern, nach seinem Besuch bei Frau Engert, hierherfahren wollen, war für eine solche Unternehmung jedoch zu müde gewesen. Aber leider hatte ihn im Hotel eine ähnlich unruhige Nacht erwartet wie die vorangegangene, wobei es diesmal Babygeschrei gewesen war, das ihn lange wachgehalten hatte.
Am Morgen hatte er dann an die Gauck-Behörde und an das Gericht in Berlin geschrieben und in beiden Briefen auch darum gebeten, man möge sich über die Geschäftsadresse mit ihm in Verbindung setzen, sobald in seiner Sache neue Erkenntnisse vorlägen.
Anschließend hatte er mit dem Onkel telefoniert, ihn umfassend ins Bild gesetzt und gesagt, er werde ihn bald wieder anrufen, um zu erfahren, ob im Werk verdächtige Personen beobachtet worden seien, denn die Gegenseite könne ja auch dort versuchen, ihre Aktion ins Rollen zu bringen. Zuletzt hatte er ihm Frau Engerts Telefonnummer durchgegeben, zugleich aber darum gebeten, nur im Notfall auf sie zurückzugreifen.
Schließlich hatte er dann auch noch mit Frau Engert gesprochen und ihr gesagt, er nehme ihre großmütige Einladung an, werde aber erst am späten Abend eintreffen.
Das mache ihr nichts aus, war ihre Antwort gewesen, denn sie gehe nie vor Mitternacht ins Bett.
Seit zwei Stunden stand er nun schon auf seinem Wachtposten, und bis jetzt hatte er drei Personen, die das Mietshaus verließen, und vier eintretende registriert, alle ohne Auffälligkeiten, soweit das aus einer Entfernung von etwa fünfzehn Schritten zu beurteilen war, zwei ältere Frauen, die gegen neun Uhr herausgekommen waren, und einen etwa vierzigjährigen Mann, der in dunklem Anzug und mit einem Blumenstrauß in der Hand kurz nach den Frauen aus der Tür getreten und in Richtung Wiesendamm verschwunden war. Um halb zehn waren zwei halbwüchsige Jungen offenbar von einer Sportveranstaltung zurückgekehrt, denn an den Lenkern ihrer Fahrräder hatten Turnschuhe gehangen. Zehn Minuten später war ein Pärchen im Taxi vorgefahren. Auch
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