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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Zeit.
Fast war es so, als ginge es ihm darum, sich selbst ein bißchen anzuheizen. Die HEXENTRÄNKE. Enge und Lärm in dem kleinen Bistro hinderten ihn nicht, voller Versonnenheit an jene ockerfarben verputzte Villa in Weißensee zu denken, der man diesen Namen gegeben hatte. Er, damals noch Hauptmann, hatte die dort einkehrenden, vorwiegend ausländischen Gäste zu kontrollieren, und zwar sowohl auf optische wie auf akustische Weise. Jedes der zehn vorhandenen, prächtig ausgestatteten Zimmer hatte ein winziges Seitengemach, das jedoch nur vom Flur aus betreten werden konnte. Trotzdem bestand eine gewisse Verbindung zwischen den so ungleichen Räumen, denn in die Trennwand war ein Trickspiegel eingelassen, der innerhalb des großen Zimmers den Zweck eines normalen Spiegels erfüllte, aber von der seitlichen Kammer aus den ungehinderten Blick aufs Bett gewährte, das seinerseits auch nicht ohne Tücke war. In der Stirnwand saß, versteckt angebracht, ein Mikrophon.
Viele Male hatte er das dienstliche Vergnügen gehabt, das, was dort geschah, aus nächster Nähe zu verfolgen. Er belauschte die Gespräche und überwachte die Mädchen, wenn sie zum Beispiel ein Schlafmittel ins Getränk gaben und später die mitgebrachten Brief- und Aktentaschen durchforsteten. Daß er obendrein privaten Nutzen aus dieser Tätigkeit ziehen konnte, wenn nämlich seine Augen, der wabbeligen Männerbäuche bald überdrüssig, sich den geschmeidigen Mädchenkörpern zugewandt hatten, war ein angenehmer Begleitumstand.
Besonders gut erinnerte er sich an die erst neunzehnjährige Magdeburgerin Clarissa. Das war nicht ihr wirklicher Name, aber in der HEXENTRÄNKE nannte man sie so, und sie besaß sogar Papiere auf diesen und einen ebenfalls erfundenen Familiennamen. Sie war nicht nur jung und schön, sondern auch intelligent, hatte gerade ihr Abitur hinter sich gebracht und sich dann als Mitarbeiterin seiner Abteilung gewinnen lassen.
Er trank einen Schluck vom Cappuccino, setzte die dickwandige Tasse wieder ab, hielt den Blick auf die Theke und den schmächtigen spanischen Wirt gerichtet, der die gefüllten Teller aus der Durchreiche holte und vor sich aufreihte, nahm das alles aber gar nicht wahr, sondern sah Clarissa, wie sie sich rittlings auf einem belgischen Stahlmagnaten niederließ, sich ihm quasi überstülpte und dann, mit dem Rücken zum Spiegel, den etwa Fünfzigjährigen in seine Wonnen wiegte. Er wußte noch, daß die konspirative Ausbeute dieser Nacht in Weißensee gleich Null gewesen war, aber so etwas kam häufiger vor und beeinträchtigte schon gar nicht seine Erinnerung. Die blieb dem lustvollen Vorgang zugewandt und war schließlich auf ein winziges Ereignis von nur ein, zwei Sekunden Dauer konzentriert. Mehrmals hatte das Paar die Position gewechselt, und als Clarissa ihrem Gast wieder einmal die Sporen gab, diesmal jedoch mit Blick in den Spiegel, da geschah es. Er hatte gerade das kesse Wippen der wohlgeformten, straffen Brüste verfolgt, da zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Es ging von ihrem Gesicht aus, genaugenommen, von ihrem rechten Auge. Sie zwinkerte nämlich. Mehrmals sogar. Wiewohl mit ihrem Leib ganz dem Dienst an der Republik hingegeben, zwinkerte sie ihm, Frank Kopjella, von dessen Präsenz hinter dem Spiegel sie natürlich wußte, zu! Das ging ihm durch und durch, schien sie mit diesem geheimen Zeichen doch zu sagen, die eigentliche Intimität gewähre sie gar nicht dem Belgier, sondern ihm, dem verborgenen Kollegen. Dieses über alle praktizierte Lust hinweg ausgesandte Signal beschäftigte ihn noch eine ganze Weile. Was sie jetzt wohl machte, die schöne Clarissa?
Er sah auf die Uhr, fand, daß es an der Zeit war, sich in das nächtliche Abenteuer zu stürzen. Vorher aber würde er Lothar über sein voraussichtlich längeres Ausbleiben verständigen. Er ging zur Theke, zeigte auf das Telefon.
» Larga distancia? « fragte der Wirt.
Dem Wort distancia entnahm er, daß der Mann erfahren wollte, ob es sich um ein Ferngespräch handeln würde. »Sí«, sagte er, und da er nicht wußte, zu welchem Ortsnetz die Hacienda gehörte, fügte er hinzu: »Granada.« Und legte einen größeren Geldschein auf den Tresen. Der Wirt nickte.
Bartolo meldete sich, und dann dauerte es etwa zwei Minuten, bis Lothar am Apparat war.
»Na, Gott sei Dank, daß du anrufst!«
»Keine Sorge«, antwortete er, »ich geh’ schon nicht verloren, wollte dir nur sagen, daß es heute etwas länger dauern wird, bis ich

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