1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
sein.«
Damit war der Datenschutz elegant umgangen, und er erfuhr, daß Oswald Kopjella Betriebswissenschaft studierte und seine Schwester Germanistik und Slawistik und daß sie eine gemeinsame Adresse hatten.
Er notierte sie, bedankte sich und ging. Während er das Gelände der Universität verließ, erwog er noch einmal die möglichen Folgen seiner Anfrage, machte sich ihretwegen aber nach wie vor keine Sorgen. Zunächst einmal stand angesichts der gut vierzigtausend immatrikulierten Studenten nicht zu erwarten, daß es in nächster Zeit zu einem Kontakt zwischen Frau Griemer und den Kopjella-Kindern kommen würde, zumal gerade Semesterferien waren. Aber selbst wenn es geschähe und die Eppendorfer Wohnung dann zur Sprache käme, gäbe es den Beteiligten allenfalls einige Rätsel auf. Seine Identität jedoch wäre nicht zu ermitteln.
Auf der Straße spürte er, wie hungrig er war. Natürlich, er hatte nicht gefrühstückt! Suchend blickte er sich um und entdeckte ganz in der Nähe ein Bistro. Er ging die paar Schritte dorthin, trat ein. Obwohl es auch Tische und Stühle gab, wählte er einen Stehplatz, holte sich einen Teller Spaghetti Bolognese.
Er hatte keine Angst, hier von irgend jemandem erkannt zu werden, empfand mittlerweile seine Maskierung als so gelungen, daß er glaubte, selbst Frau Engert, die Nachbarin, mit der er sich so gern unterhielt, würde nicht herausfinden, wer er war.
Der Gedanke an sie brachte ihn auf eine Idee, die er gleich jetzt in die Tat umsetzen wollte. So nahm er sich nach dem Essen erneut ein Taxi und fuhr zu ihr, ließ sich direkt vor der Gartenpforte absetzen, nahm rasch die wenigen Schritte bis zur Tür und klingelte.
Frau Engert öffnete und sah ihn fragend an.
»Ich merk’ schon«, sagte er, »Sie erkennen mich nicht.«
»Na so was! Herr Kämmerer! Wer hat Sie denn in den Farbtopf gesteckt?«
»Darf ich reinkommen?«
»Ja, natürlich«, sagte sie und führte ihn ins Wohnzimmer.
Mit ihren fast siebzig Jahren war sie eine imposante Erscheinung. Das glänzende Stahlgrau ihres vollen, kurzgeschnittenen Haars wirkte nicht wie ein Attribut des Alters, eher schien es künstlich herbeigeführt zu sein, denn ihr glatter, gebräunter Teint war wie der einer Frau um die Fünfzig. Die lebhaften braunen Augen taten ein übriges, guckten schelmisch drein und unterstrichen, zusammen mit dem so gar nicht welken Mund, die Vitalität des Gesichts.
Sie brachte einen Sherry auf den Tisch, und nachdem beide den ersten Schluck genommen hatten, fragte sie:
»War die Reise, von der Sie heute morgen am Telefon sprachen, vielleicht nur ein Vorwand? Haben Sie jemand anderen gefunden für Ihre Blumen und Ihre Post?«
»Aber nein!«
»Und warum sollte ich diesmal Ihr Haus nicht betreten?«
»Aus gutem Grund, Frau Engert. Ich habe jetzt erfahren, daß mein Junge schon lange tot ist und …«
»Oh, wie leid mir das tut!«
»Ja, und ich weiß auch, wer ihn auf dem Gewissen hat. Es ist ein Mann von der Stasi, ein Ex-Major. Ich bin auf der Suche nach ihm, aber es gibt Anzeichen dafür, daß er davon erfahren hat und nun seinerseits auf der Suche nach mir ist. Er will natürlich verhindern, daß ich ihn hinter Gitter bringe.«
»Das klingt gefährlich. Der Gejagte wird zum Jäger.«
»So ist es, und darum bin ich gestern abend ausgezogen. Darum auch die Tarnung. Ja, und unter diesen Umständen wollte ich Sie auf keinen Fall in meinem Haus wissen. Vielleicht schleicht sich drüben bei mir jemand ein, der nur darauf wartet, daß die Haustür aufgeht. Haben Sie irgend etwas Auffälliges bemerkt?«
Sie dachte nach, schüttelte den Kopf. »Nein. Da war nur der Postbote, der Ihre Briefe in den Türschlitz steckte. Ja, und die zwei jungen Männer, die für die Feuerwehr gesammelt haben. Die waren überall, auch bei mir. Der eine der beiden ist der Sohn meiner Schneiderin.«
»Frau Engert, die Polizei ist zwar schon informiert und wird sich um die Sache kümmern, aber ich habe auch eine Bitte an Sie.«
»Soll ich Wache schieben?«
»Also, ich meine nicht, daß Sie nun stundenlang am Fenster sitzen, aber vielleicht merken Sie sich alles, was Sie zufällig mitkriegen. Wenn Sie zum Beispiel sehen, daß ein Fremder mein Grundstück betritt oder ein Auto da anhält, dann prägen Sie sich die Einzelheiten bitte ein.«
»Ich schreib’ auf, wie der Bursche aussieht, und notier’ mir die Autonummer.«
»Sehr gut.«
»Wo wohnen Sie denn jetzt?«
»In einem schäbigen Hotel.«
»Warum in einem schäbigen?«
»Ich
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