1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
rostbraun färben lassen, danach eine Hornbrille mit ungeschliffenen Gläsern gekauft, war anschließend bei der Bank gewesen, hatte sich mit reichlich Bargeld versorgt und dann in einem Kaufhaus ein paar Kleidungsstücke erworben, wie er sie sonst nicht trug. Das war, wie er sich bald darauf eingestand, vielleicht übertrieben, aber auch in dieser Hinsicht war er eben der Laie gewesen, der in neuer Aufmachung vor den Spiegel trat, sich zu seiner Zufriedenheit kaum wiedererkannte und dabei nicht bedachte, daß diejenigen, die es zu täuschen galt, womöglich gar nicht wußten, was er sonst trug.
Er stand auf, strich sich übers Kinn. Sollte er sich vor dem Aufbruch noch rasieren? Nein, entschied er. Für den Bart, den er sich wachsen lassen wollte, kam es auf jeden Tag an. Frau Griemer, die Universitätssekretärin, bei der er sich telefonisch angemeldet hatte, würde sich über die Stoppeln vielleicht wundern, aber dann tat sie das eben.
Als er im Taxi saß, kreisten seine Gedanken um die Kopjella-Kinder, deren Adressen er sich nun zu verschaffen hoffte. Im Telefonbuch hatte er sie nicht gefunden. Gewiß, die Chance, über sie dem Vater auf die Spur zu kommen, war nur gering, denn ganz sicher hatte man die beiden zu strengster Geheimhaltung verpflichtet, doch wo sonst sollte er ansetzen?
Von der Polizei, dachte er, kann ich nichts erwarten, wenn mein Fall als Schwarzer Peter zwischen den einzelnen Abteilungen hin- und hergeschoben wird. Und von der Gauck-Behörde auch nicht. Er schweifte eine Weile ab, blickte aus dem Fenster, kehrte dann aber zurück zu seinem Gedankengang, machte sich klar, daß er einer von Abertausenden war, die bei dieser Behörde angeklopft hatten. Er war der Meinung gewesen, die Geschichte seiner Flucht müsse dort archiviert sein und vielleicht werde sie Aufschluß geben über Tilmanns Schicksal. Aber da war keine Akte. Jetzt, da er von Männern wie Kopjella und Fehrkamp wußte, konnte er einen neuen Versuch unternehmen, diesmal von der anderen, von der Täterseite her. Er hatte das auch vor, jedoch nur, um nichts auszulassen. Auch hier war die Chance gering, denn wer dafür gesorgt hatte, daß die Akte über die Opfer rechtzeitig verschwand, der hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig alle Unterlagen über die Täter beseitigt.
An der alten Universität stieg er aus, mußte in der Verwaltung dann eine Weile warten, weil Frau Griemer noch Besuch hatte.
Er war gut vorbereitet. Ins Sekretariat hineinzuschneien mit der Frage, in welcher Fakultät ein Oswald und eine Annegret Kopjella immatrikuliert seien und wo sie wohnten, wäre, da es nun mal den Datenschutz gab, zwecklos gewesen. Aber er hatte sich einen Trick ausgedacht.
Um kurz nach zwölf saß er der etwa vierzigjährigen Sekretärin gegenüber, der er, während sie noch ein Telefongespräch zu führen hatte, anmerkte, daß sie zu jenen resoluten und doch verbindlichen weiblichen Angestellten gehörte, denen Firmen und Behörden so oft ihr reibungsloses Funktionieren verdanken. Auch das Unternehmen seines Onkels hatte zwei Mitarbeiterinnen dieser Art. Er konnte sich gut vorstellen, daß Frau Griemer, die ihm während des Telefonats mehrmals freundlich zunickte, mit unerfahrenen Erstsemestern ebenso klug umzugehen verstand wie mit ehrwürdigen Professoren. Ja, sie wirkte so versiert, daß er seine Felle schon davonschwimmen sah. Doch es gab kein Zurück, und so tat er, als ihr Gespräch zu Ende war und er sich wieder, wie bereits am Telefon, mit dem Namen Wagner vorgestellt hatte, sein Bestes, spielte den väterlichen Freund der Geschwister Kopjella und erzählte, er habe endlich, endlich eine besser geeignete Wohnung für die beiden, deren provisorisches Quartier er nicht kenne, gefunden. Was das in diesen Zeiten in Hamburg bedeutete, wußte offenbar auch Frau Griemer. Jedenfalls lauschte sie seiner Erklärung, er müsse die zwei auf Biegen oder Brechen ausfindig machen, sonst gehe die kleine, adrette, auch noch ungewöhnlich preiswerte Wohnung in Eppendorf anderweitig weg, mit großem Interesse.
Sie war dann sogar zu einem Scherz aufgelegt. »Eigentlich«, erwiderte sie, »sollte ich Ihnen die gewünschte Auskunft nicht geben, was sich ja nur allzu gut begründen ließe, und statt dessen alles daransetzen, Ihnen zu entlokken, welche Wohnung es ist, denn wer von einer solchen Gelegenheit weiß, ist ähnlich gut dran wie jemand, der beim Umgraben seines Gartens auf einen Goldschatz gestoßen ist. Aber ich will fair
Weitere Kostenlose Bücher