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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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war es nun die Körperhaltung des Mannes, die einen Blick auf sein Gesicht unmöglich machte, denn der hielt vom Heraustreten bis zum Entschwinden in der Dunkelheit den Kopf gesenkt.
Der, den ich suche, dachte er, ist es nicht, und also kann es irgendwer sein, vielleicht ein Freund des Mädchens. Doch sofort korrigierte er sich, Nein, wohl eher ein gemeinsamer Freund. Er hat ja nach beiden gefragt.
Wieder setzte das Warten ein, doch nachdem im Verlauf der nächsten halben Stunde nichts mehr geschehen war, gab er auf, ging zum Wiesendamm, nahm dort ein Taxi.
Frau Engert hatte die Außenbeleuchtung nicht eingeschaltet, und so konnte er sich im Schutz der Dunkelheit an ihre Haustür wagen. Auf sein Klingeln hin öffnete sie und bat ihn sogleich ins Wohnzimmer, wo sie voller Stolz eine Polaroid-Kamera von der Fensterbank nahm und ihm hinhielt.
»Damit hab’ ich ihn festgenagelt!« sagte sie.
Erst dann kamen die Fotos auf den Tisch. Es waren drei. Auf allen war eine Gestalt zu sehen, drüben vor seinem Haus. Das Gesicht konnte man nicht erkennen, aber eines stand fest. Die Person war klein und schmächtig! Und wenn er bei dem Mann in der Jarrestraße auf Einzelheiten der Kleidung zwar nicht geachtet hatte, so war ihm doch aufgefallen, daß er trotz des warmen Sommerabends entweder eine sehr lange Jacke oder einen sehr kurzen Mantel von dunkler Farbe getragen hatte. Und dieses Kleidungsstück tauchte hier wieder auf! Das Foto, das er jetzt noch einmal in die Hand nahm, zeigte den Mann von der Seite. Die vordere Kontur seiner Gestalt lag im Schatten, aber an der hinteren konnte man erkennen, daß sie etwa in Kniehöhe um ein paar Zentimeter einwärts versetzt war.
»Haben Sie eine Lupe?« fragte er.
Frau Engert verschwand und kam nach wenigen Augenblicken zurück, reichte ihm ein Vergrößerungsglas.
»Danke.«
Er sah hindurch, tippte dann mit dem Finger auf die Stelle und fragte:
»Wie interpretieren Sie diese Ecke?«
Er gab ihr das Glas, und sie, die sich wieder hingesetzt hatte, zog die Aufnahme zu sich heran, betrachtete sie mit größter Sorgfalt, schob dabei die Lupe mal ein Stück vor, mal ein Stück zurück.
»Da hört sein Mantel auf«, sagte sie schließlich.
»Das denke ich auch. Oder seine Jacke. Jedenfalls das Oberteil seiner Kleidung. Und wie groß, schätzen Sie, ist der Mann?«
»Klein«, antwortete sie, ohne lange zu überlegen. »Ich hab’ ihn ja nicht nur fotografiert, sondern auch beobachtet. Hab’ gesehen, wie er am Haus entlangging, und da war Ihr Wohnzimmerfenster ein brauchbares Hilfsmittel. Wenn zum Beispiel Sie da stehen, befindet sich Ihre Nase … , na, ich schätze mal, ungefähr in der Fenstermitte. Bei dem hier«, sie zeigte auf das Foto, »war die Nase eher im unteren Drittel.«
»Wann haben Sie die Aufnahmen gemacht?«
»Um Viertel nach neun tauchte er hier auf, und da hab’ ich ihn sofort fotografiert. Ich weiß«, fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »bei einem Wettbewerb würde ich mit diesen Bildern keinen Preis kriegen, aber erstens ist es eben nur eine Polaroid-Kamera, und zweitens war ich auch ein bißchen nervös.«
Er griff über den Tisch, nahm ihre Hand, drückte sie kurz, ließ sie wieder los. »Von mir kriegen Sie trotzdem den ersten Preis, denn die Bilder sind für mich von ganz außerordentlichem Wert.«
»Tatsächlich?«
»Wahrscheinlich hab’ auch ich diesen Mann heute abend gesehen, und zwar in der Jarrestraße, ungefähr anderthalb Stunden später als Sie.«
Er erzählte von der Begegnung im Treppenhaus und sagte dann:
»Wenn der Bursche sowohl bei den Geschwistern Kopjella als auch vor meinem Haus auftaucht, gehe ich davon aus, daß er zur Gegenseite gehört, und ich hab’ sogar schon eine Vorstellung, wer er vielleicht ist.«
»Nämlich?«
Nun mußte er weiter ausholen in seinem Bericht, bis hin zu dem infamen Film der Stasi. »Und diese halbe Portion«, sagte er dann, »die damals meinen Tilmann, der ja erst sechzehn war, gespielt hat, könnte dieselbe Person sein, die heute abend hier und anschließend in der Jarrestraße erschienen ist.«
Frau Engert nickte. »Und was nun?« fragte sie dann.
»Es spricht alles dafür, daß ein Katz-und-Maus-Spiel daraus wird, eins mit wechselnden Rollen. Oder vielmehr. Die zwei Seiten sind immer beides zugleich, und gewinnen kann nur die, die im entscheidenden Moment mehr Katze ist als Maus. Hoffentlich werde ich das sein.«
»Gut«, antwortete Frau Engert, »soweit die poetische Definition der Lage. Meine Frage war aber

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