1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
erwischt mein Auge ja noch grad einen Rest von dem Mann, bevor das Auto ihn mir verdunkelt, und dann …«, an dieser Stelle hatte sie Kämmerer triumphierend angelächelt, »kann ich rausgehen und meinen Bürgersteig fegen, Ihren sogar, und das kann die Kamera nicht!«
Da hatte er kapituliert und ihr nur noch geraten, auf keinen Fall die Gardine zu bewegen, denn das winzige schwarze Rund der in Position gebrachten Linse werde von der Straße her niemandem auffallen, aber schon das kleinste Hin und Her eines Vorhangs oder einer Gardine könne bemerkt werden.
Sie hatte ihn dann, weil er sich einen Leihwagen besorgen wollte, in die Stadt gefahren und war anschließend einkaufen gegangen, was ihr, da sie einen Gast hatte, viel mehr Freude machte als sonst. Gegen halb elf war sie nach Hause gekommen.
Wieder hatte sie sich ans Fenster gesetzt, blickte hinüber zu Kämmerers Haus. Morgen ist Mittwoch, dachte sie, und da wäre eigentlich die Putzkolonne fällig. Hoffentlich hat er nicht vergessen, sie abzubestellen.
Ein Auto kam und setzte die Kamera in Gang. Sie kannte das Fahrzeug. Es war ein Lieferwagen der Installationsfirma, bei der sie seit vielen Jahren Kundin war. Mal sehen, ob das Bild scharf genug ist! sagte sie sich und blickte auf den Monitor, und tatsächlich, obwohl der Wagen nur für einen Moment dort auftauchte, konnte sie die Beschriftung, nämlich Sanitärtechnik Opitz, entziffern. Doch sofort ging ihr auf, was an diesem Test nicht in Ordnung war, und sie ärgerte sich über sich selbst und die Untauglichkeit ihres kleinen Versuchs. Ich Hornochse! dachte sie. Es ist doch ein Unterschied, ob ich den Wortlaut schon vorher im Kopf hab’ oder ob er mir neu ist! So hoffte sie nun auf einen Lieferwagen, dessen Firmenaufschrift sie nicht kannte.
Aber erst mal kam das Postauto. Es war gut, daß Kämmerer nur einen Schlitz in der Tür hatte. In einem Briefkasten wäre es längst zu eng geworden, allein schon wegen der vielen Zeitungen.
Ihre Augen verfolgten den Austräger, der zunächst drei Nachbarn auf der anderen Straßenseite bediente, darunter Kämmerer, und dann die Seite wechselte. Nach einer Weile hörte sie, daß er auch zu ihr gekommen war. Manchmal, wenn er die metallene Abdeckplatte des Briefkastens einfach fallen ließ, pflanzte das Geräusch sich bis ins Hausinnere fort, und das war soeben der Fall gewesen.
Sie ging hinaus, leerte den Kasten und eilte zurück an ihren Platz, spähte hinaus.
Es war schon fast zur Manie geworden. Immer wieder projizierte sie jenen schmächtigen Mann, von dem sie die Polaroidaufnahmen gemacht hatte, in Kämmerers Vorgarten, ließ ihn dort herumstreifen, vor der Tür, vor den Fenstern. Ein Gesicht malte sie sich nicht dazu aus, weil es auch auf den Fotos fehlte. Es war immer nur eine schemenhafte Gestalt, die ums Haus schlich.
Wieder ein Auto, und wieder kannte sie es. Es war der schwarze Sportwagen von Dr. Wegener, der ein paar Häuser weiter rechts wohnte. Automatisch ging ihr Blick zum Monitor, aber da war der Wagen schon vorbei.
Sie dachte an Kämmerer, der nun bald kommen würde. Diesmal sollte es anders vonstatten gehen. Sie hatte ihr Auto auf dem eigenen Grundstück, gleich neben der Auffahrt, abgestellt, so daß er den Leihwagen in die schon geöffnete Garage fahren konnte. Natürlich bedeutete das einen kritischen Moment, doch eine hundertprozentige Absicherung gab es nun mal nicht. Blieb die Hoffnung, daß seine dunklen Bartstoppeln in Verbindung mit der Brille und dem gestutzten wie auch gefärbten Haar für hinreichende Veränderung sorgten.
Jetzt wurde die Kamera, kurz nacheinander, gleich zweimal in Gang gesetzt. Zunächst kamen zwei Frauen mit drei kleinen Kindern die Straße entlang, und dann erschienen zwei Männer. Sie hielt sie für Bauarbeiter, weil sie blaue Overalls anhatten und ein gewaltiges holzgerahmtes Sieb trugen. Ihr Blick folgte den beiden auch noch, als sie vom Monitor längst verschwunden waren, denn Kämmerer hatte ihr gesagt: »Vor allem auf Handwerker achten, die sich womöglich auf meinem Grundstück zu schaffen machen! Es könnten getarnte Spitzel sein.«
Aber die beiden gingen an seinem Haus vorbei, wechselten dann sogar die Straßenseite.
Fünf Minuten später kam wieder ein Auto. Diesmal kannte sie es nicht. Es war ein dunkelgrauer Pkw. Er fuhr langsam vorbei, zeigte sich auf dem Monitor, verschwand.
Sie hatte am Morgen zwei Steaks gekauft, wollte für ihren Gast eine gute Mahlzeit zubereiten. Sobald er käme, würde
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