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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Betrieb«, sagte jetzt der Mann, »in dem Herr Kämmerer und mein Vater gearbeitet haben, ist geschlossen worden, wie so viele in der ehemaligen DDR. In fast allen Wirtschaftszweigen sieht es zappenduster aus, und als mein Vater erfuhr, daß ich mich deshalb im Westen umsehen will, sagte er: ›Fahr doch mal zu Paul! Der ist in Hamburg gut drin, und vielleicht kann er dir ein paar Tips geben.‹ Ich hab’ schon zu Ihrer Mutter gesagt, am Telefon meldet er sich nicht, und ich war auch an seiner Tür, leider vergeblich. Da hab’ ich mir gedacht. Manchmal wissen die Nachbarn Bescheid. Ja, und nun sitze ich hier und halte Sie beide auf, bin aber bestimmt gleich wieder weg. Wenn ich erfahre, daß er bald zurückkommt, bleib’ ich noch ein paar Tage, hab’ hier ein günstiges Hotel gefunden. Sonst fahr’ ich morgen wieder nach Halle und versuch’ es später noch mal. Aber ich könnte ihm natürlich auch an seine Urlaubsadresse schreiben. Ihre Mutter meint, Sie hätten die.«
»Ja, die hab’ ich.« Kämmerer stand auf. »Ich hol’ sie. Sogar die Telefonnummer ist dabei, und dann können Sie ihn anrufen, denn er kommt erst in acht Tagen zurück.«
Er trat hinaus auf den Flur, lief die Treppe hinauf, stürmte ins Gästezimmer, warf sich in den Sessel.
Verdammt, wie machen wir’s?
Er hatte noch nicht einmal angefangen, über diese Frage nachzudenken, da überfiel ihn schon die nächste, und sie jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Was, wenn er das Theater längst durchschaut hat und Frau Engert, sobald ich ins Zimmer komme, ein Messer an der Kehle hat?
Fieberhaft überlegte er, ob sich ein Fehler in den Hals über Kopf improvisierten Auftritt eingeschlichen haben könnte.
Hab’ ich womöglich meine Mutter gesiezt oder sonst irgendwas Falsches gesagt? Nein, das wohl nicht, aber der Bursche kann ja vorher in einem anderen Haus gewesen sein, und da braucht man ihm nur gesagt zu haben. Gehen Sie doch mal rüber zu Frau Engert! Sie lebt allein und sieht manchmal bei Herrn Kämmerer nach dem Rechten …
Himmel noch mal, wie soll ich wissen, ob Frau Engerts Tür die erste war, an die er geklopft hat, nachdem er bei mir keinen Erfolg hatte!
Doch da fiel ihm ein Stein vom Herzen, denn Lipsius, sein Nachbar zur Linken, war nun wirklich im Urlaub, und zwar mit der ganzen Familie in Florida, und rechts wohnte der Juwelier Westermann, der, zusammen mit seiner Frau, jeden Morgen um acht Uhr das Haus verließ und ins Geschäft fuhr. Wenn man, sagte er sich, links und rechts niemanden antrifft, wendet man sich doch als nächstes an die Leute von gegenüber.
Wie stell’ ich’s an? Klar, ich könnte ihm folgen. Sicher hat er seinen Wagen hier irgendwo abgestellt. Aber ehe ich meinen aus der Garage gefahren hab’, ist er über alle Berge. Nein, es muß jetzt passieren! Hier im Haus!
Er riß einen Zettel aus seinem Notizbuch, erfand eine Adresse in Ascona, schrieb sie auf, dazu eine lange Telefonnummer. Und dann. Paul Kämmerer, Urlaubsanschrift bis 3. September.
Wie geht es weiter? Eins ist sicher. Er darf das Haus nicht verlassen, muß also überwältigt werden. Aber wie? Er ist der Profi, und ich bin der Amateur. Trotzdem, ich hab’ keine Wahl.
Er sah auf seine Hände, stand auf.

29
    Die ersten Treppenstufen nahm er behutsam, wollte kein Geräusch machen, um besser lauschen zu können. Von unten drangen die Stimmen herauf. Normale Lautstärke, normale Tonlage. Also hatte Frau Engert vermutlich kein Messer an der Kehle. Er setzte seinen Weg fort, trat nun fest auf und kündigte damit seine Rückkehr an.
    Er hatte sich nicht getäuscht, fand die beiden in friedlichem Gespräch vor. Offenbar war es um den Vorzug gegangen, in dieser idyllischen Gegend wohnen zu dürfen, denn als er eintrat, sagte Frau Engert gerade:
    »Ja, man lebt hier wie auf dem Lande und hat doch die Stadt ganz nah.«
Er setzte sich wieder zu ihnen, reichte dem Fremden, von dem er annahm, daß er nicht wirklich Vogt hieß, den Zettel. Der warf einen Blick darauf und sagte:
»Oh, Ascona! Hab’ davon gehört, aber ich kenne es natürlich nicht. Wir aus dem Osten fangen ja erst an, im Ausland Ferien zu machen. Vielen Dank für die Adresse! Doch nun will ich Sie nicht länger belästigen.«
Vogt stand auf, gab erst Frau Engert, dann Kämmerer die Hand. Die beiden hatten sich ebenfalls erhoben, und damit war der kritische Moment gekommen.
Kämmerer machte die Tür auf, ließ Vogt den Vortritt, so daß für einen Augenblick die Situation entstand, die für ein

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