Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
keine Sorgen, Oswald! Damals war die Polizei fast jeden Tag bei uns, das wurde schon zur Gewohnheit. Vielleicht fassen sie jetzt wegen Horst Fehrkamps Tod noch einmal nach.«
»Dann kommen sie sicher auch zu dir.«
»Gut möglich.«
»Okay. Annegret läßt dich grüßen. Ich melde mich, wenn’s was Neues gibt.«
Als sie wieder im Auto saßen, sagte Oswald:
»Ich denk’ noch immer über den Namen Kämmerer nach, und jetzt ist mir so, als hätte es kurz vorm Zusammenbruch einen Fall von Republikflucht gegeben, der dann auch in die Zeitung kam und ins Fernsehen. Ein Junge, wenn ich mich richtig erinnere, ein Schüler. Der könnte Kämmerer geheißen haben, aber beschwören will ich das nicht.«
»Hatte es denn geklappt mit der Flucht?«
»Verdammt, auch das weiß ich nicht mehr! Was, wenn er einer der Besucher war, von denen Yussuf uns erzählt hat? Ich frag’ mich das, weil der Kommissar den Namen erwähnt hat.«
»Also, Quasimodo hat sich als Bulle entpuppt, und die beiden anderen entfallen auch, denn die waren dreißig und vierzig Jahre alt. Dieser Kämmerer aber könnte, wenn er damals Schüler war, höchstens so alt sein wie ich.«
»So fest sollten wir uns auf Yussufs Schätzungen nicht verlassen. Für ihn sind die Menschen hier eine andere Rasse. Rate du mal das Alter eines Chinesen! Und dann noch unter unserer Treppenhausfunzel!«
»Aber … , also, wenn dieser Kämmerer bei uns war, kann das doch nur heißen, daß Vater mit seinem Fall zu tun gehabt hat.«
Sie hielt kurz inne, fragte dann: »Und die Nummer drei?«
»Na, bei drei Besuchern kann einer ja auch mal was Normales gewesen sein, vielleicht ein Zeitschriftenwerber oder ein Versicherungsvertreter, irgendsowas.«

28
    Es hatte den Anschein, als traute Luise Engert der VideoKamera nicht, so oft ging sie an diesem Vormittag ins Gästezimmer, setzte sich neben das Stativ, nahm durch die Tüllgardine die Straße und Paul Kämmerers Haus ins Visier, und sobald sich dort draußen etwas bewegte, glitt ihr Blick hinüber zum Monitor. Doch das Gerät arbeitete zuverlässig. Selbst kleinste Objekte wie ein vorbeifliegender Vogel oder ein herabfallendes Blatt setzten das Laufwerk in Gang und erschienen im selben Augenblick gestochen scharf auf der Mattscheibe. Schon mehrere Male hatte sie sich davon überzeugen können, und wenn sie trotzdem immer wieder Posten bezog, geschah das aus einem ganz anderen Grund. Sie war versessen auf den Erfolg, nicht aus Eitelkeit, nicht aus Sensationslust, sondern weil sie die Not ihres Nachbarn und seinen verzweifelten Wunsch, den Mörder seines Sohnes aufzuspüren, so nachhaltig mitempfand. Ja, sie würde ihm nach Kräften helfen. Pannen durfte es dabei nicht geben, und so hervorragend das Aufnahmegerät auch arbeiten mochte, gegen zumindest ein Übel war es nach ihrer Meinung nicht gefeit, und das wollte sie, wenn irgend möglich, ausschalten.
    Sie nannte es, erst nur für sich, später auch im Gespräch mit Kämmerer, die Mondfinsternis und meinte damit jenen Vorgang, bei dem, analog zum kosmischen Beispiel, ein Objekt das andere überlagert und folglich das Auge der Kamera nur das im Vordergrund befindliche erfaßt, während das zweite unsichtbar bleibt. Genau das wäre gestern passiert, wenn das Postauto direkt vor Kämmerers Haus gehalten hätte. In ihrer Vorstellung hatte dann das Fahrzeug die Funktion der Erde gehabt, die Linse wäre die Sonne gewesen und der Briefträger der im Erdschatten verschwundene Mond.
    Zwar war es, da der Postmann sein Auto ein Stück vorgezogen hatte, zu einer solchen Konstellation nicht gekommen, aber sie konnte sich jederzeit ergeben. Ihre Befürchtung hatte sie Kämmerer während des Frühstücks mitgeteilt, doch seine Antwort war gewesen: »Liebe Frau Engert, wie keinem Menschen die Quadratur des Kreises gelingt, wird es Ihnen, selbst wenn Sie von früh bis spät am Fenster sitzen, nicht gelingen, besser zu sein als die Kamera. Was für die Linse gilt, gilt auch für Ihr Auge. Beide schaffen es nicht, durch das Postauto, oder was immer sich dazwischenschiebt, hindurchzusehen.« Und nach einer kleinen Pause hatte er hinzugefügt: »Wirklich, Sie können die Mondfinsternis nicht verhindern, weil Sie ja, wie die Kamera, mit der Sie den Standort teilen, die Sonne sind.« Ihre Erwiderung darauf war, das wußte sie auch selbst, recht spitzfindig oder gar trotzig gewesen. »Das ist wahr«, hatte sie gesagt, »und ich habe auch nicht vor, die Naturgesetze aus den Angeln zu heben, aber vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher