1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Oswald.
»Das wissen wir selbst nicht. Sein Name taucht in unseren Akten auf, und wir können mit ihm nichts anfangen.«
»Wir auch nicht.« Annegret trank von ihrem Kaffee. »Wollen Sie wirklich keinen?«
»Nein, danke.« Granzow stand auf, holte seine Karte heraus, legte sie auf den Tisch. »Für den Fall, daß Ihr Vater sich meldet. Dann teilen Sie mir das bitte mit. Und auch, wenn Kämmerer an Ihre Tür kommt oder Sie anruft.«
»Wir haben kein Telefon«, sagte Oswald.
»Stimmt ja! Das hat meinen Kilometerstand ganz schön in die Höhe getrieben.« Er gab beiden die Hand und ging. Oswald folgte ihm, öffnete die Wohnungstür und schaltete im Treppenhaus das Drei-Minuten-Licht an.
»Danke«, sagte Granzow und stieg die Treppe hinunter.
Wieder im Zimmer, flüsterte Oswald seiner Schwester zu:
»Ich finde, wir machen noch einen kleinen Spaziergang. Während wir in Leuna waren, können die Bullen hier Wanzen angebracht haben.«
Annegret sah ihn mit großen Augen an, sprang dann auf und sagte, fast etwas zu laut:
»Gut. Nach der langen Autofahrt ist Bewegung genau das richtige.«
Sie zog sich schnell wieder an, und so waren sie nach wenigen Minuten draußen, hielten auf den nahegelegenen Stadtpark zu, setzten sich dort auf die erste Bank, die sie fanden.
»Der sah ja aus wie der Glöckner von Notre-Dame«, sagte Annegret.
»Aber sobald er redet, merkt man das nicht mehr.«
»Ich schon.«
»Wir müssen noch zu einer Telefonzelle.«
»Wen willst du anrufen?« fragte sie.
»Vater.«
»Mensch, Oswald! Kannst doch die Leute in Ribe nicht aus dem Bett klingeln!«
»Doch. Ich meine, wenn die Kripo seinetwegen Nachforschungen anstellt, muß er das wissen.«
»Na ja, vielleicht hast du recht.«
Sie gingen zum Auto, fuhren los, hatten erst nach zehn Minuten eine Zelle gefunden, von der aus auch Auslandsgespräche geführt werden konnten.
»Kannst im Wagen bleiben«, sagte Oswald, aber Annegret erwiderte:
»So weit kommt es noch, daß wir Vater endlich mal am Apparat haben und ich nicht mit ihm reden soll!«
Es war eng in der Zelle, aber sie machten die Tür wieder auf und hatten dadurch etwas mehr Raum.
Oswald warf die Münzen ein. Die Nummer hatte er im Kopf. Mindestens ein dutzendmal ertönte das Amtszeichen. Endlich meldete sich jemand; er klang verärgert, sprach dänisch.
»Entschuldigen Sie«, sagte Oswald, »aber würden Sie bitte Herrn Bärwald ans Telefon holen? Es ist sehr wichtig.«
Darauf kam in verständlichem Deutsch: »Herr Bärwald wohnt nicht mehr hier. Er ist vor ein paar Tagen umgezogen.«
»Ja? Und wohin?«
»Das weiß ich nicht. Wie ist Ihr Name?«
»Hansen. An welche Adresse schicken Sie denn seine Post?«
»Das macht der Nachfolger von Herrn Bärwald. Soll ich ihn wecken?«
Nun kriegte Oswald doch kalte Füße. »Nein, danke«, sagte er schnell und legte dann auf, warf aber sofort neue Münzen in den Apparat.
»Was machst du?«
»Vater ist nicht mehr in Ribe. Ich ruf jetzt Mutter an.«
Er wählte, und wieder dauerte es lange. Die Tante meldete sich. Auch bei ihr bat er um Entschuldigung, plauderte dann ein wenig und hatte etwas später die Mutter am Apparat.
»Hallo«, begrüßte er sie, »ich bin’s. Sag mal, ist es möglich, daß Tante Veras Telefonleitung angezapft ist? Oder daß man im ganzen Haus Wanzen angebracht hat?« »Das halte ich für ausgeschlossen.«
»Gut, dann hör mal zu! Eben war die Kripo bei uns und fragte nach Vater. Wir haben uns streng an die Regeln gehalten, ist ja klar. Danach wollte ich ihn informieren, hab’ also in Ribe angerufen. Er ist nicht mehr da. Umgezogen, heißt es. Wohin, konnte der Mann, ein Däne war das, nicht sagen.«
»Umgezogen?«
»Ja, und es soll ein Nachfolger da sein. Den wollte ich nicht auch noch aus dem Bett holen, um unnötigen Wirbel zu vermeiden.«
»Das war richtig. Sicher handelt es sich um eine innerbetriebliche Regelung, einen Wechsel eben, wie Firmen das so machen. Er wird sich bestimmt bald melden. Hat der Mann auch gesagt, seit wann Vater nicht mehr da ist?«
»Ja, seit ein paar Tagen erst.«
»Und die Polizei hat nur nach Vater gefragt? Sonst nichts?«
»Der Kommissar fragte auch, ob wir wüßten, daß Horst Fehrkamp tot ist. Wir haben das verneint, und dann sprach er von Mord. Na ja, darüber haben wir uns ja schon gestern in Leuna lang und breit unterhalten. Zum Schluß hat er einen Paul Kämmerer erwähnt, aber den kannten wir nun wirklich nicht.«
»Kämmerer? Im Augenblick kann ich den Namen nirgendwo unterbringen. Also, macht euch mal
Weitere Kostenlose Bücher