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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zu trösten und schlug vor, den Mann irgendwie zu bestrafen. Doch damit war Tamaki nicht einverstanden. Sie selbst sei unvorsichtig gewesen, jetzt müsse sie damit fertig werden. »Ich trage Mitverantwortung, schließlich habe ich mich verleiten lassen, allein mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Wahrscheinlich bleibt mir nichts anderes übrig, als die Sache einfach zu vergessen«, sagte Tamaki. Doch Aomame war schmerzlich bewusst, wie tief dieser Vorfall ihre beste Freundin verletzt hatte. Es ging nicht um ein oberflächliches Problem wie den Verlust ihrer Jungfräulichkeit, sondern um ihre Würde als Mensch. Niemand hatte das Recht, diese mit Füßen zu treten. Und Hilflosigkeit ist etwas, das einen Menschen bis ins Innerste auffrisst.
    Also beschloss Aomame, ihm eine persönliche Lektion zu erteilen. Sie entlockte Tamaki die Adresse des Apartmenthauses, in dem der Mann wohnte, und machte sich mit einem Softballschläger, den sie in einem großen Plastikzylinder verstaut hatte, dorthin auf. Tamaki war an diesem Tag zu einer Totengedenkfeier bei Verwandten nach Kanazawa gefahren. Das würde ihr Alibi sein. Aomame vergewisserte sich, dass der Mann nicht zu Hause war, ehe sie mit Schraubenzieher und Hammer die Tür aufbrach und in die Wohnung eindrang. Dann zertrümmerte sie mit dem Schläger, den sie, um Geräusche zu vermeiden, mehrfach mit einem Handtuch umwickelt hatte, systematisch die Einrichtung. Fernseher, Stehlampe, Uhr, Schallplatten, Toaster, Blumenvase – sie zerschlug alles, was sich nur zerschlagen ließ. Die Telefonschnur durchtrennte sie mit einer Schere. Von den Büchern riss sie die Rücken ab und verstreute die Seiten. Auf dem Teppich verteilte sie den Inhalt der Zahnpasta- und Rasiercremetuben. Ins Bett goss sie Sojasoße. Sie holte alle Hefte aus den Schubladen und zerfetzte sie. Kulis und Bleistifte wurden zerbrochen und sämtliche Glühbirnen. Vorhänge und Gardinen schlitzte sie mit dem Küchenmesser auf. Die Hemden im Schrank zerschnitt sie ebenfalls mit der Schere. In die Schubladen mit der Unterwäsche und den Socken goss sie Ketchup. Sie schraubte die Sicherung des Kühlschranks heraus und warf sie aus dem Fenster. Sie zertrümmerte den Stopper in der Toilettenspülung und den Duschkopf. Gründlich und flächendeckend vollendete sie ihr Werk der Zerstörung. Am Ende hatte die Wohnung große Ähnlichkeit mit den Bildern, die man nach den Bombenangriffen auf Beirut in den Zeitungen hatte sehen können.
    Tamaki war ein sehr intelligentes Mädchen (was die Noten in der Schule anging, konnte Aomame ihr nie das Wasser reichen), und beim Softball hatte sie sich stets als aufmerksame Spielerin gezeigt, der nichts entging. Kaum saß Aomame in der Klemme, kam sie sofort auf den Schlaghügel, gab ihr knappe und nützliche Hilfestellung, lächelte, klopfte ihr mit dem Schläger aufs Hinterteil und kehrte zur Verteidigung zurück. Tamaki hatte Überblick, ein gutes Herz und Sinn für Humor. Auch bei schulischen Aktivitäten gab sie sich große Mühe, und reden konnte sie auch ausgezeichnet. Hätte sie weiter studieren können, wäre sie eine hervorragende Juristin geworden.
    Nur bei Männern versagte ihr Urteilsvermögen seltsamerweise. Tamaki mochte gutaussehende Männer. Es kam ihr, wie man so sagt, sehr auf das Äußere an. Und diese Neigung erreichte – in Aomames Augen – eine fast krankhafte Dimension. Ein Mann konnte die wunderbarste Persönlichkeit haben, die außerordentlichsten Fähigkeiten besitzen und sich noch so sehr um Tamaki bemühen – wenn ihr sein Aussehen nicht gefiel, fühlte sie sich nicht zu ihm hingezogen. Aus irgendeinem Grund hatte sie immer Beziehungen zu eitlen Männern mit nichtssagenden Schönlingsgesichtern. Außerdem war sie in dieser Frage entsetzlich stur. Aomame konnte sagen, was sie wollte, Tamaki hörte nicht auf sie. In anderen Dingen schätzte und folgte sie Aomames Meinung, aber sie akzeptierte nicht die geringste Kritik an ihren Liebhabern. Aomame hatte es mit der Zeit aufgegeben, sie zu warnen. Sie wollte nicht, dass diese Unstimmigkeiten ihre Freundschaft verdarben. Immerhin war es Tamakis Leben. Es blieb Aoma me nichts anderes übrig, als sie tun zu lassen, was sie wollte. Jedenfalls lernte Tamaki an der Universität Scharen von Männern kennen, die sie in irgendwelche Schwierigkeiten brachten, hintergingen, verletzten und am Ende fallen ließen. Sie hatte sogar zwei Abtreibungen. All das brachte sie fast um den Verstand. Was Beziehungen zwischen Männern

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