1Q84: Buch 1&2
Haut. Und am Geruch. Nachdem man mit einem Mann zusammen war, bleibt er am Körper haften. In meinem Alter fällt einem plötzlich alles Mögliche auf.«
Aomame verzog ganz leicht das Gesicht. »Ich brauche das. Manchmal. Ich weiß, das ist nicht gerade etwas, womit man sich brüsten kann.«
Die alte Dame streckte ihre Hand aus und legte sie sachte auf Aomames. »Das ist ganz natürlich. So etwas braucht man eben hin und wieder. Ich werfe Ihnen nichts vor. Ich habe sogar das Gefühl, dass Sie auf ganz normale Art glücklich werden können. Sie kommen mit ihrem Liebsten zusammen, und es gibt ein Happy End.«
»Das würde mir auch gefallen. Aber es ist schwierig, wissen Sie.«
»Weshalb denn?«
Das war nicht so einfach zu erklären, und Aomame blieb ihr die Antwort schuldig.
»Sollten Sie in einer persönlichen Angelegenheit Rat brauchen, wenden Sie sich ruhig an mich«, sagte die alte Dame. Sie zog ihre Hand zurück und wischte sich mit einem kleinen Handtuch den Schweiß vom Gesicht. »Ganz gleich, worum es sich handelt. Vielleicht kann ich etwas für Sie tun.«
»Vielen Dank«, sagte Aomame.
»Es gibt Dinge, von denen man sich nicht befreien kann, ohne über die Stränge zu schlagen.«
»Da haben Sie recht.«
»Sie tun ja nichts, womit Sie sich schaden«, sagte die alte Dame. »Rein gar nichts. Das wissen Sie, oder?«
»Ich weiß«, antwortete Aomame. Genau, dachte sie. Ich tue ja nichts, was mir schadet. Dennoch bleibt insgeheim etwas zurück. Wie der Bodensatz in einer Flasche Wein.
Aomame erinnerte sich noch genau an alles, was mit dem Tod von Tamaki Otsuka zusammenhing. Bei dem Gedanken, dass sie sie nie wiedersehen, nie mehr mit ihr sprechen würde, hatte sie das Gefühl, in Stücke gerissen zu werden. Tamaki war die erste echte Freundin gewesen, die Aomame in ihrem Leben gehabt hatte. Ihr hatte sie alles sagen können, ohne das Geringste zu verbergen. Vor Tamaki hatte sie keine Freundin gehabt und nach ihr auch nicht mehr. Niemand konnte sie ersetzen. Wäre Aomame ihr nicht begegnet, dann wäre ihr Leben noch elender und düsterer gewesen, als es ohnehin schon war.
Die beiden Mädchen waren gleichaltrig gewesen und hatten gemeinsam in der Softball-Mannschaft der Städtischen Oberschule gespielt. In der Mittel- und Oberstufe war Aomame ganz verrückt nach Softball gewesen. Dabei hatte sie anfangs nur widerwillig mitgemacht und nur, weil man sie aus Mangel an Spielerinnen dazu aufgefordert hatte, doch bald war Softball zu ihrem Lebensinhalt geworden. Von den Stürmen des Lebens gebeutelt, klammerte Aomame sich an diesen Sport wie an einen rettenden Pfosten. Genau das hatte sie gebraucht. Ihr selbst war es nicht bewusst gewesen, aber Aomame hatte das Talent einer herausragenden Sportlerin. Während der gesamten Mittel- und Oberstufe war sie der Mittelpunkt der Mannschaft, und ihr war es zu verdanken, dass das Team bei Turnieren die erstaunlichsten Siege errang und immer weiterkam. Dies verlieh ihr Selbstvertrauen. (Selbstvertrauen war nicht ganz das richtige Wort dafür, aber es kam ihm sehr nahe.) Vor allem tat es Aomame gut, dass sie für das Team keine geringe Bedeutung hatte und ihr im Rahmen dieser kleinen Welt eine klar definierte Position zukam. Sie wurde gebraucht .
Aomame stand als Werferin und Schlägerin auf der vierten Base buchstäblich im Zentrum des Spiels. Tamaki Otsuka spielte auf der zweiten Base, war ebenfalls eine Schlüsselfigur des Teams und zugleich Kapitänin. Die kleine, zierliche Tamaki verfügte über ausgezeichnete Reflexe und verstand es auch, ihren Kopf einzusetzen. Sie besaß die Fähigkeit, jede Spielsituation rasch zu überblicken und einzuschätzen. Sie wusste genau, wohin sie sich bei einem Wurf neigen musste, und weil sie stets sofort voraussah, in welche Richtung ein geschlagener Ball flog, fing sie ihn gleich ab. Es gab kaum Spielerinnen, die diese Kunst beherrschten. Ihr Urteil hatte das Team schon aus so mancher Krise gerettet. Sie schlug keine weiten Distanzen wie Aomame, aber ihre Schläge waren präzise und gefährlich, außerdem war sie sehr schnell. Eine bessere Mannschaftsführerin als Tamaki hätte man sich nicht denken können. Sie schweißte zusammen, entwarf Taktiken, erteilte Ratschläge und ermutigte die anderen. Ihre Weisungen waren streng, aber die anderen Spielerinnen vertrauten ihr blind. So wurde die Mannschaft von Tag zu Tag stärker und kam bei der Großen Tokioter Meisterschaft bis ins Finale. Auch an den Schulmeisterschaften nahm sie teil.
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