1Q84: Buch 1&2
Aomame und Tamaki hatten es sogar in das Auswahlteam für die ostjapanischen Meisterschaften geschafft.
Die beiden jungen Frauen hatten ganz natürlich zueinandergefunden. Sie schätzten ihre wechselseitigen Fähigkeiten und waren bald unzertrennliche Freundinnen. Wenn die Mannschaft zu Auswärtsspielen fuhr, verbrachten die beiden sehr viel Zeit miteinander. Sie erzählten einander ihre persönlichen Geschichten, ohne etwas zu verheimlichen. Aomame hatte in der fünften Klasse den Entschluss gefasst, mit ihren Eltern zu brechen, und war von einem Onkel mütterlicherseits aufgenommen worden. Die Familie des Onkels verstand die Situation und nahm das neue Mitglied herzlich auf, dennoch war dort nicht Aomames richtiges Zuhause. Sie war einsam und hungerte nach Liebe. Ohne zu wissen, worin sie ein Lebensziel und einen Sinn finden konnte, führte sie ein Leben ohne Halt. Tamakis Familie war wohlhabend und gehörte einer höheren Gesellschaftsschicht an, aber die zerrüttete Beziehung ihrer Eltern zerstörte das Familienleben. Ihr Vater war so gut wie nie zu Hause, und ihre Mutter befand sich in einem Zustand geistiger Verwirrung. Mitunter wurde sie tagelang von so starken Kopfschmerzen gequält, dass sie nicht aufstehen konnte. Tamaki und ihr jüngerer Bruder waren fast immer sich selbst überlassen. Meist aßen die beiden Kinder in einer nahe gelegenen Cafeteria oder in Fastfood-Lokalen, oder sie ernährten sich von Fertiggerichten. So hatten beide Mädchen gute Gründe, sich mit Begeisterung in den Sport zu stürzen.
Die einsamen, problembeladenen jungen Frauen hatten bergeweise Gesprächsstoff. In den Sommerferien machten sie eine gemeinsame Reise, und als es einmal nichts zu erzählen gab, hatten die beiden einander eben, nackt in dem Hotelbett liegend, berührt. Letztlich war dies ein einmaliges, unerwartetes Ereignis, das sich nicht wiederholte und über das sie auch nie wieder sprachen. Doch danach hatten sie sich noch mehr verschworen, und ihre Freundschaft war noch inniger geworden.
Auch nachdem sie die Schule beendet hatte und Sport studierte, spielte Aomame weiter Softball. Als landesweit bekannte Spielerin erhielt sie ein Stipendium von einer privaten Sportuniversität. Auch in der Mannschaft dieser Universität nahm sie wieder eine sehr aktive und zentrale Rolle ein. Schließlich entdeckte sie ihr Interesse für Sportmedizin und begann sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Außerdem entwickelte sie eine Neigung zu Kampfsportarten. Sie wollte sich möglichst viel Wissen und Fachkenntnisse aneignen, und so war das Studium für sie keine Zeit unbeschwerter Vergnügungen.
Tamaki studierte Jura an einer erstklassigen Privatuniversität. Nach dem Abitur hatte sie das Interesse am Softball verloren. Der Sport war für Tamaki, die ausgezeichnete Noten hatte, nicht mehr gewesen als ein vorübergehender Zeitvertreib. Sie wollte das Staatsexamen machen und Juristin werden. Trotz ihrer unterschiedlichen Ziele blieben die beiden jungen Frauen enge Freundinnen. Aomame lebte in einem Wohnheim der Universität, in dem sie keine Miete zu zahlen brauchte, und Tamaki besuchte die Universität von ihrem noch immer chaotischen – aber wirtschaftlich günstigen – Zuhause aus. Einmal in der Woche gingen die beiden zusammen essen und erzählten sich, was sich so angesammelt hatte. Sie konnten reden, soviel sie wollten, der Gesprächsstoff ging ihnen einfach nicht aus.
Im Herbst ihres ersten Studienjahres verlor Tamaki ihre Jungfräulichkeit. Sie hatte den ein Jahr älteren Mann beim Tennis kennengelernt. Er lud sie in seine Wohnung ein und vergewaltigte sie dort förmlich. Tamaki war nicht in ihn verliebt gewesen. Sie war zwar seiner Einladung gefolgt und allein in seine Wohnung gegangen, aber die Rücksichtslosigkeit und Grobheit, mit der er den Geschlechtsverkehr erzwang, hatte ihr einen schrecklichen Schock versetzt. Sie trat aus der Tennis-AG aus und verfiel in einen Zustand der Depression. Der Vorfall hatte ein Gefühl von Machtlosigkeit in Tamaki zurückgelassen. Sie verlor den Appetit und nahm in einem Monat sechs Kilo ab. Dass der Mann Tamaki begehrt hatte, war verständlich und nachvollziehbar. Wenn er es wenigstens gezeigt und sich die Zeit genommen hätte, um sie zu werben, hätte sie sich ihm wahrscheinlich nicht einmal verweigert. Warum in aller Welt hatte er Gewalt anwenden müssen? Obwohl es dafür überhaupt keine Notwendigkeit gegeben hatte. Das konnte Tamaki einfach nicht verstehen.
Aomame versuchte sie
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