1Q84: Buch 1&2
nicht weiter mit Ihnen reden, und ich möchte auch nicht, dass Sie mich je wieder aufsuchen. Lieber nehme ich den Schaden in Kauf, als mit Ihnen Umgang zu pflegen. Ihr Fördergeld brauche ich nicht und auch keine Sicherheitsgarantie. Mein einziger Wunsch ist es, Sie nie wiederzusehen.«
Ushikawa zeigte überhaupt keine Reaktion. Wahrscheinlich hatte er schon Schlimmeres zu hören bekommen. In seinen Augen erschien sogar ein Leuchten, fast ein Lächeln.
»Schon gut«, sagte er. »Zumindest bin ich froh, dass ich Ihre Antwort habe. Sie lautet Nein. Das Angebot ist abgelehnt . Das ist klar und leicht verständlich. Ich werde es meinen Vorgesetzten bestellen. Schließlich bin ich ja nur ein dummer Laufbursche. Auch wenn Sie uns eine Absage erteilen, heißt das noch nicht unbedingt, dass man Ihnen schaden wird. Es kann sein, sagte ich nur. Sein kann auch, dass alles ohne besondere Zwischenfälle verläuft. Das wäre mir am liebsten. Nein, das ist nicht geheuchelt, ich hoffe es wirklich von ganzem Herzen. Weil Sie mir sympathisch sind, Herr Kawana. Auch wenn Sie ganz offensichtlich keinen Wert auf meine Sympathie legen, aber da kann man eben nichts machen. Denn ich bin ein unmöglicher Mann, der unmögliches Zeug redet. Selbst mein Äußeres ist hart an der Grenze des guten Geschmacks. Ich war noch nie ein Typ, der sich Mühe gibt, gemocht zu werden. Meinerseits jedoch hege ich eine gewisse Sympathie für Sie, Herr Kawana, auch wenn Sie sich dadurch vielleicht belästigt fühlen. Ich glaube fest daran, dass Sie große Leistungen vollbringen werden.«
Bei diesen Worten betrachtete Ushikawa die Finger seiner beiden Hände. Agile kurze Finger. Er drehte sie mehrmals hin und her und stand schließlich auf.
»Dann werde ich mal aufbrechen. Tja, das war wohl das letzte Mal, dass ich bei Ihnen vorgesprochen habe. Hoffen wir, dass möglichst alles so verläuft, wie Sie es sich erhoffen. Ich wünsche Ihnen Glück. Machen Sie es gut.«
Ushikawa nahm seine abgewetzte Ledertasche, die er auf dem Stuhl neben sich abgestellt hatte, und verschwand im Gedränge der Cafeteria. Die Schüler und Schülerinnen, die ihm im Weg standen, wichen automatisch vor ihm zurück und bildeten eine Gasse. Wie Dorfkinder vor einem bedrohlichen Menschenhändler.
Tengo rief vom Telefon im Empfang in seiner Wohnung an. Er hatte vor, es dreimal klingeln zu lassen und dann aufzulegen, doch schon beim zweiten Klingeln hob Fukaeri ab.
»Wir hatten doch eigentlich ausgemacht, dass ich es dreimal klingeln lasse und dann noch einmal anrufe«, sagte Tengo kraftlos.
»Ich hatte es vergessen«, sagte Fukaeri ungerührt.
»Du solltest es doch nicht vergessen.«
»Können wir es noch einmal probieren«, fragte Fukaeri.
»Nein, nicht nötig. Jetzt bist du ja schon rangegangen. Ist in meiner Abwesenheit etwas Außergewöhnliches passiert?«
»Kein Anruf. Kein Besuch.«
»Gut. Ich bin mit der Arbeit fertig und komme jetzt nach Hause.«
»Vorhin ist eine große Krähe am Fenster gelandet und hat gekrächzt«, sagte Fukaeri.
»Die kommt jeden Abend. Mach dir keine Gedanken. Sie stattet nur eine Art Höflichkeitsbesuch ab. Gegen sieben bin ich da.«
»Machen Sie lieber schnell.«
»Warum?«, fragte Tengo.
»Die Little People toben.«
»Die Little People toben«, wiederholte Tengo. »Heißt das, sie wüten in meiner Wohnung?«
»Nein. Irgendwo anders.«
»Wo denn?«
»Weit weg.«
»Aber du kannst es hören?«
»Ja, ich kann es hören.«
»Hat das etwas zu bedeuten?«, fragte Tengo.
»Es gibt vielleicht eine Katastrophe.«
»Eine Katastrophe?« Er brauchte einen Moment, bis er sie verstand. »Was denn für eine Katastrophe?«
»So genau weiß ich das nicht.«
»Die Little People verursachen sie?«
Fukaeri schüttelte den Kopf. Ihr Kopfschütteln übertrug sich durch den Hörer. Es hieß, Ich weiß nicht . »Kommen Sie lieber nach Hause, bevor das Gewitter anfängt.«
»Was für ein Gewitter?«
»Die Bahnen fahren dann nicht mehr.«
Tengo drehte sich um und sah eine Krähe vor dem Fenster. Es war ein heiterer wolkenloser Sommerabend. »Es sieht aber nicht nach Gewitter aus.«
»Das kann man nicht sehen.«
»Ich beeile mich.«
»Ist besser«, sagte Fukaeri und legte auf.
Tengo verließ die Eingangshalle der Yobiko und schaute noch einmal zum klaren Abendhimmel hinauf. Mit schnellen Schritten eilte er zum Bahnhof Yoyogi. Währenddessen spulte sich in seinem Kopf wie bei einem Tonband mit automatischer Wiederholfunktion immer wieder ab, was
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