1Q84: Buch 1&2
Ushikawa gesagt hatte.
ES GIBT DINGE AUF DIESER WELT, VON DENEN MAN BESSER NICHTS WEISS. DAS GLEICHE GILT ZUM BEISPIEL FÜR IHRE MUTTER. ES KÖNNTE SIE VERLETZEN, WENN SIE DIE WAHRHEIT ERFAHREN. UND WENN MAN DIE WAHRHEIT KENNT, KOMMT MAN BISWEILEN NICHT UMHIN, AUCH VERANTWORTUNG ZU ÜBERNEHMEN .
Und irgendwo randalierten die Little People. Sie schienen irgendetwas mit einem nahenden Unwetter zu tun zu haben. Im Augenblick war der Himmel wunderschön klar, aber der äußere Anschein sagte gar nichts aus. Vielleicht würde es donnern, regnen, und die Bahnen würden nicht mehr fahren. Er musste schnell nach Hause. Fukaeris Stimme hatte eine merkwürdige Überzeugungskraft.
»Wir müssen unsere Kräfte vereinen«, hatte sie gesagt.
Ein langer Arm wird sich nach uns ausstrecken. Wir müssen unsere Kräfte vereinen. Denn wir sind das ultimative Duo auf Erden.
The Beat Goes On.
KAPITEL 11
Aomame
Das Gute ist das Gleichgewicht an sich
Aomame breitete auf dem Teppich des Schlafzimmers die Yogamatte aus blauem Schaumstoff aus, die sie mitgebracht hatte. Dann bat sie den Mann, sein Hemd auszuziehen. Er stand vom Bett auf und gehorchte. Ohne Hemd wirkte er noch gewaltiger. Seine Brust war breit, aber nicht fett, und sehr muskulös. Auf den ersten Blick schien sein Körper völlig gesund.
Nachdem Aomame ihn aufgefordert hatte, sich bäuchlings auf die Yogamatte zu legen, griff sie nach seinem Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Er schlug dumpf und schwer.
»Treiben Sie täglich Sport?«, fragte Aomame.
»Eigentlich nicht. Ich mache nur Atemübungen.«
»Ist das alles, nur Atmen?«
»Es unterscheidet sich von gewöhnlichem Atmen.«
»Vorhin im Dunkeln haben Sie so geatmet, nicht wahr? Sehr tief ein und aus. Sie setzen dabei Ihre gesamte Muskulatur ein.«
Der Mann nickte aus seiner Bauchlage.
Aomame konnte es kaum glauben. Um so zu atmen, brauchte man sicherlich sehr viel Kraft. Aber war es tatsächlich möglich, dass jemand allein durch eine Atemtechnik einen so straffen, athletischen Körper bekam?
»Was ich jetzt tue, wird mehr oder weniger schmerzhaft«, sagte Aomame mit unbewegter Stimme. »Denn wenn es nicht wehtut, hat es keine Wirkung. Aber ich kann den Schmerz regulieren. Sollte er zu stark werden, dann beißen Sie nicht die Zähne zusammen, sondern sagen Sie es mir bitte.«
Der Mann zögerte kurz. »Den Schmerz, den ich noch nicht kenne, möchte ich erleben«, sagte er dann in leicht ironischem Ton.
»Schmerzen sind für niemanden ein Vergnügen.«
»Je stärker der Schmerz, desto größer die Wirkung. Oder nicht? Schmerzen, die einen Sinn haben, kann ich ertragen.«
Aomame machte im Halbdunkel eine unverbindliche Miene. »Ich verstehe«, sagte sie. »Dann wollen wir es mal ausprobieren.«
Wie immer begann Aomame mit ihrem Stretching an den Schulterblättern. Schon bei der ersten Berührung fiel ihr die Geschmeidigkeit der Muskulatur auf. Sie war gesund und tadellos. Ganz anders als bei den erschlafften, verspannten Stadtmenschen, mit denen Aomame es normalerweise im Sportstudio zu tun hatte. Zugleich hatte sie die starke Empfindung, dass ihr natürlicher Fluss durch irgendetwas behindert wurde. Wie bei einem von Baumstämmen und Schutt blockierten Strom.
Ihren Ellbogen als Hebel ansetzend, zog sie die Schulter des Mannes so weit zurück wie möglich. Zuerst sanft, dann mit viel Kraft. Sie wusste, dass er Schmerzen hatte. Starke Schmerzen. Jeder andere hätte zumindest gestöhnt. Aber er gab keinen Laut von sich. Nicht einmal seine Atmung geriet aus dem Takt. Auch das Gesicht schien er nicht zu verziehen. Er kann viel aushalten, dachte Aomame. Sie beschloss auszuprobieren, wie viel. Ein schonungsloser Ruck rief ein scharfes Krachen im Schultergelenk hervor, eine Reaktion wie beim Umstellen einer Weiche. Der Mann hielt kurz die Luft an, doch dann atmete er sofort wieder ruhig weiter.
»Ihre Schultern sind schrecklich blockiert«, erklärte Aomame. »Aber eben hat sich etwas gelöst. Der Fluss ist wieder in Gang gekommen.«
Aomame fuhr mit der Hand bis zum zweiten Fingerglied hinter die Schulterblätter. Ursprünglich waren die Muskeln des Mannes weich und elastisch, und sobald sie eine Blockade entfernt hatte, erreichten sie sofort wieder ihren normalen gesunden Zustand.
»Ich verspüre eine große Erleichterung«, sagte der Mann leise.
»Das muss aber ziemlich wehgetan haben.«
»So schlimm war es nicht.«
»Ich selbst kann auch eine Menge aushalten. Aber wenn jemand das mit mir machen
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