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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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seine außergewöhnliche Willenskraft und vitale Konstitution, die es ihm ermöglichten, die grimmigen Schmerzen zu ertragen, die er den »Preis der Gnade« nannte – all das reizte ihre Neugier. Sie hatte ein berufliches und auch persönliches Interesse an ihm, wollte wissen, ob sie etwas für ihn tun konnte und wie sein Körper reagieren würde. Außerdem müsste sie, wenn sie den Mann jetzt tötete, auf der Stelle verschwinden. In diesem Fall würden die beiden Leibwächter im Nebenzimmer sich vielleicht fragen, warum sie so schnell mit ihrer Arbeit fertig wäre, und Verdacht schöpfen. Vor allem, da sie gesagt hatte, sie würde mindestens eine Stunde brauchen.
    »Die Hälfte haben wir hinter uns. Jetzt kommt die andere Hälfte. Würden Sie sich bitte auf den Rücken legen?«, sagte Aomame.
    Wie ein großes gestrandetes Meerestier wälzte der Mann sich auf die andere Seite. »Die Schmerzen gehen wirklich zurück«, sagte er nach einem tiefen Seufzer. »Keine meiner bisherigen Behandlungen war so wirksam.«
    »Ihre Muskulatur ist beeinträchtigt «, sagte Aomame. »Ich weiß nicht, was die Ursache ist, aber wie es aussieht, ist sie ernsthaft geschädigt. Ich werde versuchen, die beeinträchtigten Partien so gut wie möglich wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Das ist nicht leicht und bringt auch Schmerzen mit sich. Aber bis zu einem gewissen Grad lässt sich das machen. Die Beschaffenheit Ihrer Muskeln ist ausgezeichnet, und Sie können einiges an Schmerzen ertragen. Doch das ist wirklich nur eine provisorische Lösung. Zu einer endgültigen Besserung wird es nicht kommen. Solange die Ursache nicht geklärt ist, wird wohl immer wieder das Gleiche geschehen.«
    »Ich weiß. Es gibt keine Lösung. Es wird immer wieder passieren, und mit jedem Mal wird mein Zustand sich verschlechtern. Aber auch wenn es nur vorübergehend ist, wäre ich dankbar, wenn diese akuten Schmerzen sich zumindest ein wenig lindern ließen. Sie können sich nicht vorstellen, wie dankbar. Ich habe schon daran gedacht, Morphium zu verwenden. Aber eigentlich möchte ich das vermeiden. Eine langfristige Einnahme zerstört wichtige Gehirnfunktionen.«
    »Ich mache jetzt mit dem Rest weiter«, sagte Aomame. »Auch diesmal muss ich Sie nicht schonen, nicht wahr?«
    »Selbstverständlich nicht.«
    Aomame verbannte jeden anderen Gedanken aus ihrem Kopf und rang konzentriert mit den Muskeln des Mannes. Durch ihren Beruf hatte sie sich den Aufbau aller Muskeln des menschlichen Körpers eingeprägt. Sie wusste, welche Funktion jeder einzelne erfüllte, mit welchen Knochen er verbunden war, welche besonderen Eigenschaften er hatte, mit welchen Empfindungen er ausgestattet war. Der Reihe nach untersuchte sie alle Muskeln und Gelenke, lockerte und knetete sie energisch. So wie die fanatischen Schergen der Inquisition, die sich sämtliche Schmerzpunkte in jedem Winkel des menschlichen Körpers vorzunehmen pflegten.
    Nach dreißig Minuten waren beide schweißgebadet und atmeten heftig. Wie Liebende nach einem Geschlechtsakt von an ein Wunder grenzender Intensität. Der Mann sagte eine Weile nichts, und auch Aomame schwieg.
    »Ich will nicht übertreiben«, ergriff der Mann schließlich das Wort. »Aber Teile meines Körpers fühlen sich an wie ausgewechselt.«
    »Es kann sein, dass Sie heute Nacht eine Art schmerzhaften Rückfall erleiden, bei dem die Muskeln sich verkrampfen. Aber das ist kein Grund zur Sorge. Morgen früh ist alles wieder normal.«
    Wenn es ein Morgen gibt, dachte Aomame.
    Der Mann kreuzte die Beine auf der Yogamatte und atmete mehrmals tief ein und aus, wie um den Zustand seines Körpers zu überprüfen. »Offenbar verfügen Sie tatsächlich über eine besondere Begabung«, sagte er.
    »Was ich gemacht habe«, sagte Aomame, während sie sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte, »ist eigentlich nur Praxis. An der Universität hat man mir beigebracht, wie Muskulatur aufgebaut ist und wie sie funktioniert. Diese Kenntnisse habe ich dann durch Praxis erweitert. Ich habe meine Technik ausgefeilt und ein eigenes System entwickelt. Ich halte mich ausschließlich an das, was ich ertaste und was für mich einen Sinn ergibt. Auf meinem Gebiet ist die Wahrheit in der Regel erkennbar und nachweisbar. Und natürlich mit Schmerzen verbunden.«
    Der Mann öffnete die Augen und musterte Aomame interessiert. »So denken Sie also.«
    »Was meinen Sie?«, fragte Aomame.
    »Dass Wahrheit im Grunde erkennbar und

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