1Q84: Buch 1&2
möchten Sie lieber für sich sein?«
»Nein, nein, ganz und gar nicht«, sagte der Mann in wenig überzeugtem Ton. Er runzelte die Stirn und musterte Aomame mit einem forschenden Blick. Offenbar fragte er sich, ob sie womöglich doch eine Prostituierte auf Kundenfang war. Aber Aomame erweckte nicht diesen Anschein. Sie hatte überhaupt nichts von einer Prostituierten an sich. Seine Nervosität ließ ein wenig nach.
»Wohnen Sie in diesem Hotel?«, fragte er.
Aomame schüttelte den Kopf. »Nein, ich lebe in Tokio. Ich warte hier nur auf meine Freundin. Und Sie?«
»Ich bin auf Dienstreise«, sagte er. »Ich komme aus Osaka und bin wegen einer Konferenz hier. Eine ziemlich öde Sache, aber da der Stammsitz der Firma in Osaka ist, wäre es ungehörig, wenn von uns keiner teilnimmt.«
Aomame lächelte höflich. Weißt du, dachte sie, deine Arbeit interessiert mich ungefähr so viel wie Taubendreck. Ich mag nur deine Kopfform. Doch natürlich sagte sie nichts dergleichen.
»Einen Termin habe ich hinter mir. Darauf wollte ich einen trinken. Morgen Vormittag habe ich noch eine Sitzung, und dann fahre ich nach Osaka zurück.«
»Ich habe auch gerade einen wichtigen Auftrag beendet«, sagte Aomame.
»Oh? Worum ging es denn dabei?«
»Ich möchte eigentlich nicht über meine Arbeit sprechen, aber es war so was wie ein Spezialauftrag.«
»Ein Spezialauftrag«, wiederholte der Mann. »Also etwas, das nicht jeder kann. Sie haben einen Beruf, der Fachkenntnisse und Erfahrung erfordert.«
Du bist ja ein wandelndes Lexikon, dachte Aomame. Aber sie behielt auch das für sich und lächelte nur. »Ja, so könnte man es sagen.«
Der Mann nahm wieder einen Schluck von seinem Highball und fischte eine Nuss aus der Schale. »Es würde mich interessieren, was Sie machen, aber Sie möchten ja nicht darüber sprechen.«
Aomame nickte. »Im Moment nicht.«
»Sie haben nicht zufällig einen Beruf, der mit Sprache zu tun hat? Redakteurin oder Universitätsdozentin?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Der Mann nestelte an seinem Krawattenknoten herum und zog ihn wieder fest. Auch den Hemdknopf schloss er.
»Nur so. Wahrscheinlich, weil sie die ganze Zeit so eifrig in dem dicken Buch gelesen haben.«
Aomame strich sanft mit dem Fingernagel am Rand ihres Glases entlang. »Ich lese bloß gern. Mit meiner Arbeit hat das nichts zu tun.«
»Danebengeraten. Ich gebe mich geschlagen.«
»Ja, daneben«, sagte Aomame. Da kommst du im Leben nicht drauf, fügte sie bei sich hinzu.
Der Mann musterte unauffällig Aomames Figur. Sie tat, als sei ihr etwas heruntergefallen, bückte sich und gewährte ihm einen Einblick in ihr Dekolleté. So müsste etwas von der Form ihrer Brüste zu sehen sein. Sie trug weiße Spitzenunterwäsche. Sie richtete sich auf und trank von ihrem Cutty Sark on the rocks. Die großen runden Eiswürfel in ihrem Glas klirrten.
»Nehmen Sie noch einen? Ich schon«, sagte der Mann.
»Ja, gern«, sagte Aomame.
»Sie sind recht trinkfest, nicht wahr?«
Aomame lächelte unverbindlich. Dann wurde sie plötzlich ernst. »Ach, mir fällt gerade was ein. Kann ich Sie etwas fragen?«
»Was denn?«
»Hat die Polizei kürzlich ihre Uniformen geändert? Und die Waffen, die sie tragen?«
»Was meinen Sie mit kürzlich?«
»Vor etwa einer Woche oder so.«
Der Mann machte ein interessiertes Gesicht. »Die Uniform und die Waffen bei der Polizei wurden wirklich geändert, aber das ist schon ein paar Jahre her. Statt dieser steifen Uniformjacke tragen die Beamten jetzt eine Art sportlichen Anorak. Außerdem wurden sie damals auch mit einem neuen Automatikmodell ausgestattet. Danach gab es, soweit ich weiß, keine größeren Veränderungen mehr.«
»Die japanische Polizei hatte doch diese altmodischen Revolver. Bis letzte Woche noch.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, da irren Sie sich. Die japanische Polizei verwendet schon länger automatische Waffen.«
»Können Sie das mit Gewissheit sagen?«
Bei ihrem Ton fuhr der Mann leicht zusammen. Zwischen seinen Augen bildete sich eine Falte, und er versuchte ernsthaft, sich zu erinnern. »Ja, also, wenn Sie mich so direkt fragen, bin ich unsicher. Es hat nur in der Zeitung gestanden, dass alle Waffen der Polizei durch neuere Modelle ersetzt wurden. Damals gab es irgendein Problem. Die Durchschlagskraft der neuen Waffen sei zu hoch, hieß es, und wie üblich protestierte eine Bürgerinitiative bei der Regierung.«
»Wie viele Jahre ist das her?«, fragte Aomame.
Der Mann rief
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