1Q84: Buch 1&2
den schon etwas älteren Barkeeper herbei. »Wann war das, als die Uniformen und Waffen der Polizei erneuert wurden?«, fragte er ihn.
»Vor zwei Jahren im Frühjahr«, antwortete der Barkeeper prompt.
»Donnerwetter, das nenne ich ein erstklassiges Hotel! Der Barkeeper weiß alles«, sagte der Mann und lachte.
Der Barkeeper lachte ebenfalls. »Nein, nein. Ich erinnere mich nur so gut daran, weil mein jüngerer Bruder zufällig bei der Polizei ist. Er konnte sich nicht an die neue Uniform gewöhnen und beklagte sich dauernd darüber. Auch die Waffe sei zu schwer, meinte er. Er beschwert sich sogar jetzt noch darüber. Die neue ist eine Beretta 9 mm Automatik, aber man kann sie auch auf Halbautomatik umstellen. Momentan hat wohl Mitsubishi die Lizenz für die japanische Produktion. Hier bei uns kommt es nur selten zu Feuergefechten, deshalb wären so schwere Waffen nicht unbedingt nötig. Man hat eher die Sorge, dass sie gestohlen werden. Aber es war die Absicht der Regierung, die Schlagkraft der Polizei zu stärken und zu verbessern.«
»Was wurde aus den alten Revolvern?« Aomame kontrollierte ihren Tonfall, so gut sie konnte.
»Sie wurden wohl demontiert und entsorgt«, sagte der Barkeeper. »Ich habe in den Nachrichten im Fernsehen gesehen, wie sie zerlegt wurden. Allein das und die Vernichtung der Munition nahm eine Menge Zeit in Anspruch.«
»Man hätte sie doch ins Ausland verkaufen können«, sagte der Geschäftsmann mit dem schütteren Haar.
»Der Export von Waffen ist verfassungsrechtlich verboten«, erklärte der Barkeeper bescheiden.
»Donnerwetter, die Barkeeper in diesen erstklassigen Hotels –«
»Das heißt also, die japanische Polizei verwendet seit zwei Jahren keine Revolver mehr. Stimmt das?«, fragte Aomame den Barkeeper, indem sie dem Mann das Wort abschnitt.
»Soweit ich weiß, ja.«
Aomame verzog leicht das Gesicht. Werde ich allmählich verrückt? Ich habe doch gerade erst heute Morgen einen Polizisten in der alten Uniform und mit einem Revolver gesehen. Dass die alten Modelle sämtlich entsorgt wurden, davon habe ich noch nie gehört. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser Mann und der Barkeeper sich beide falsch erinnern oder lügen. Also bin ich im Irrtum.
»Vielen Dank, das war sehr aufschlussreich«, sagte Aomame zum Barkeeper. Er schenkte ihr ein professionelles, genau bemessenes Lächeln und ging wieder an seine Arbeit.
»Interessieren Sie sich für die Polizei?«, fragte der Mann neben ihr.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Aomame vage. »Ich konnte mich nur nicht mehr genau erinnern.«
Die beiden nippten an ihren frisch servierten Drinks – er an seinem Cutty Sark Highball, sie an ihrem Cutty Sark on the rocks. Der Mann erzählte, er habe im Hafen von Nishinomiya eine eigene kleine Yacht liegen. An freien Tagen segle er damit aufs Meer hinaus. Begeistert schwärmte er, wie herrlich es sei, allein auf dem Meer zu sein und den Wind auf seinem Körper zu spüren. Aomame wollte die Geschichten über seine blöde Yacht nicht hören. Da wären ihr die Geschichte des Kugellagers oder die Verteilung der ukrainischen Mineralvorkommen oder so noch lieber gewesen. Sie schaute auf ihre Armbanduhr.
»Es ist spät, darf ich Ihnen eine direkte Frage stellen?«
»Aber bitte doch.«
»Es ist aber, wie soll ich sagen, etwas Persönliches.«
»Gern – wenn ich sie beantworten kann.«
»Haben Sie einen großen Schwanz?«
Der Mann öffnete leicht den Mund, kniff die Augen zusammen und starrte Aomame an. Wahrscheinlich traute er seinen Ohren nicht. Aber sie machte ein sehr ernstes Gesicht. Sie scherzte nicht. Das wusste man, wenn man ihr in die Augen sah.
»Nun, also«, antwortete der Mann todernst, »ich weiß nicht genau. Wahrscheinlich ungefähr normal. Was soll man sagen, wenn man plötzlich so etwas gefragt wird …«
»Wie alt sind Sie?«, fragte Aomame.
»Ich bin im letzten Monat einundfünfzig geworden«, sagte der Mann unsicher.
»Sie sind normal intelligent und haben über fünfzig Jahre gelebt, üben einen respektablen Beruf aus, besitzen sogar eine Yacht und können nicht beurteilen, ob Ihr Penis im allgemeinen Weltdurchschnitt groß oder klein ist?«
»Äh, ja, also, es könnte sein, dass er ein bisschen größer als normal ist«, brachte der Mann nach kurzer Überlegung gequält hervor.
»Ach, wirklich?«
»Was kümmert Sie das überhaupt?«
»Kümmert? Wer sagt, dass es mich kümmert?«
»Äh, nein, das sagt ja niemand, aber …«, sagte der Mann,
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