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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mannes in Augenschein zu nehmen. Sein Gesicht war nicht sonderlich beeindruckend. Er war nicht dick, aber die Kinnpartie war schon etwas erschlafft. Unter den Augen hatte er leichte Tränensäcke. Ein Mann in mittleren Jahren, wie man ihn überall findet. Dennoch gefiel ihr die Form seines Kopfes.
    Als der Barkeeper ihm die Speisekarte und ein feuchtes Tuch reichte, bestellte er, ohne einen Blick auf die Karte zu werfen, einen Scotch Highball. »Welche Marke bevorzugen der Herr?«, erkundigte sich der Barkeeper. »Keine besondere. Nehmen Sie irgendeinen«, sagte der Mann. Er hatte eine ruhige, entspannte Stimme. Sie erkannte den weichen Tonfall, den die Menschen aus Kansai haben. Als sei es ihm gerade erst eingefallen, fragte der Mann plötzlich, ob es Cutty Sark gäbe. Der Barkeeper bejahte. Nicht schlecht, dachte Aomame. Dass der Mann sich nicht für einen Chivas Regal oder einen exklusiven Single Malt entschieden hatte, nahm Aomame für ihn ein. Sie vertrat die persönliche Ansicht, dass Leute, die in Bars ein großes Brimborium um ausgefallene Alkoholmarken veranstalteten, in sexueller Hinsicht Nieten waren. Der Grund war ihr nicht klar.
    Aomame mochte seinen weichen westjapanischen Akzent. Das war doch etwas ganz anderes als diese Leute, die in Kansai geboren und aufgewachsen waren und die, wenn sie in die Hauptstadt kamen, mit Gewalt versuchten, wie Tokioter zu klingen. Sie fand die fremde Betonung, mit der er ihr bekannte Worte aussprach, äußerst reizvoll. Der eigentümliche Tonfall beruhigte sie auf seltsame Weise. Sie beschloss, mit diesem Mann mitzugehen. Eigentlich nur, um nach Herzenslust mit den Fingern durch sein lichtes Haar zu fahren. Als der Barkeeper dem Mann seinen Cutty Sark Highball servierte, bestellte sie absichtlich so, dass der Mann es hören konnte, einen Cutty Sark mit Eis. »Kommt sofort«, antwortete der Barkeeper ausdruckslos.
    Der Mann öffnete seinen obersten Hemdknopf und lockerte die klein gemusterte blaue Krawatte. Das Hemd war von einem sehr üblichen Hellblau. Aomame las, während sie auf ihren Cutty Sark wartete. Dabei öffnete sie beiläufig einen Knopf ihrer Bluse. Die Kapelle spielte »It’s Only a Paper Moon«. Der Pianist sang nur einen Chorus. Als Aomame ihren Drink bekam, nippte sie daran. Sie merkte, dass der Mann verstohlen in ihre Richtung sah. Aomame schaute von ihrem Buch auf und sah zu ihm hinüber. Nonchalant und wie zufällig. Als sie seinem Blick begegnete, lächelte sie kaum wahrnehmbar. Dann sah sie sofort wieder weg und tat, als schaue sie aus dem Fenster in die Nacht.
    Es war der ideale Augenblick für einen Mann, eine Frau anzusprechen. Sie hatte die Situation absichtlich herbeigeführt. Aber der Mann tat nichts dergleichen. Verdammt, dachte Aomame, das darf doch nicht wahr sein! Das ist doch das Mindeste, was man erwarten kann. Er ist doch kein grüner Junge mehr.
    Aomame mutmaßte, dass dem Mann die Courage fehlte. Wahrscheinlich fürchtete er, Hohn und Spott zu ernten und sich als alter Glatzkopf zum Narren zu machen, wenn er mit seinen fünfzig Jahren eine junge Frau in den Zwanzigern ansprach. Du liebe Güte, dachte sie, manche hatten aber auch gar keine Ahnung.
    Sie klappte das Buch zu und packte es in ihre Tasche. Und sprach den Mann von sich aus an.
    »Mögen Sie Cutty Sark?«, fragte sie.
    Der Mann blickte sie erstaunt an. Seine ratlose Miene zeigte, dass er nicht wusste, was er gefragt worden war. Dann veränderte sich sein Ausdruck. »Ähm, ja, Cutty Sark, genau«, sagte er, als erinnerte er sich. »Das Etikett hat mir schon immer gefallen, und ich habe die Marke oft getrunken. Weil ein Segelschiff drauf ist.«
    »Sie mögen wohl Schiffe?«
    »Ja. Segelschiffe eigentlich.«
    Aomame erhob ihr Glas. Auch der Mann hob sein Highball-Glas leicht in die Höhe. Wie um ihr zuzuprosten.
    Aomame hängte sich die auf dem Hocker neben ihr liegende Tasche über die Schulter, nahm ihr Whiskyglas und setzte sich zwei Plätze weiter neben den Mann. Er schien ein wenig erstaunt, aber bemüht, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
    »Ich bin hier mit einer ehemaligen Schulkameradin verabredet, aber sie hat mich wohl versetzt«, sagte Aomame mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Sie kommt nicht, und gemeldet hat sie sich auch nicht.«
    »Vielleicht hat Ihre Freundin sich im Tag geirrt?«
    »Könnte sein. Sie war schon immer etwas unzuverlässig«, sagte Aomame. »Ich werde noch kurz warten. Könnten wir uns in der Zeit ein wenig unterhalten? Oder

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