1Q84: Buch 3
es sich nicht nur um eine Laune. Deshalb ist Madame der Ansicht, wir sollten deinen Wunsch unterstützen.«
Aomame hörte wortlos zu.
»Du kannst also noch bis zum Ende des Jahres dortbleiben. Aber das ist das Äußerste.«
»Das heißt, ich soll zu Neujahr umziehen.«
»Wir bemühen uns, deinen Wünschen so weit wie möglich entgegenzukommen.«
»Einverstanden«, sagte Aomame. »Ich bleibe für den Rest des Jahres hier. Dann ziehe ich um.«
In Wirklichkeit hatte sie keineswegs diese Absicht. Sie würde sich keinen Schritt aus dieser Wohnung fortbewegen, bis sie Tengo gesehen hatte. Doch im Moment war es klüger, das für sich zu behalten. Ihr blieb noch Zeit bis zum nächsten Jahr. Über alles Künftige konnte sie nachdenken, wenn es so weit war.
»Gut«, sagte Tamaru. »Von nun an werden wir dich einmal in der Woche mit Lebensmitteln und Dingen, die du sonst noch brauchst, versorgen. Jeden Dienstag um ein Uhr nachmittags kommt ein Lieferdienst. Während dieser Zeit schließt du dich im Schlafzimmer ein. Du zeigst dich auf keinen Fall. Du sprichst auch nicht. Wenn der Lieferdienst wieder geht, klingelt er einmal an der Tür. Dann kannst du das Schlafzimmer verlassen. Wenn du etwas Besonderes brauchst oder möchtest, kannst du es mir sagen. Ich lege es dann der jeweils nächsten Lieferung bei.«
»Ich wäre dankbar für irgendein Gerät, mit dem ich meine Muskulatur trainieren kann«, sagte Aomame. »Die Wirkung von Übungen ohne Geräte ist begrenzt.«
»Ein professionelles Kraftsportgerät kann ich dir nicht bieten. Wärst du auch mit einem Heimtrainer zufrieden, der nicht so viel Platz wegnimmt?«
»Ja, es kann ruhig etwas ganz Einfaches sein«, sagte Aomame.
»Ein Fahrrad und etwas für den Muskelaufbau. Genügt das?«
»Klar. Und wenn möglich noch einen Softball-Schläger aus Metall.«
Tamaru schwieg ein paar Sekunden lang.
»So einen Schläger kann man für verschiedene Dinge benutzen«, sagte Aomame. »Auf mich wirkt es schon beruhigend, ihn einfach nur in der Hand zu halten. Weil ich quasi damit aufgewachsen bin.«
»In Ordnung. Ich kümmere mich darum«, sagte Tamaru. »Sollte dir noch etwas einfallen, schreibst du es auf ein Blatt Papier und legst es auf die Küchentheke. Du bekommst es dann bei der nächsten Lieferung.«
»Danke. Aber im Augenblick fehlt mir nichts.«
»Bücher, Videos oder so was?«
»Mir fällt nichts ein.«
»Wie wäre es mit Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Proust?«, fragte Tamaru. »Falls du es noch nicht gelesen hast, wäre jetzt eine gute Gelegenheit.«
»Hast du es gelesen?«
»Nein. Bisher war ich noch nicht im Gefängnis oder musste für längere Zeit untertauchen. Angeblich ist es ohne eine solche Gelegenheit schwer, den ganzen Roman durchzubekommen.«
»Kennst du jemanden, der es geschafft hat?«
»In meinem Bekanntenkreis gibt es schon ein paar Leute, die eine Weile gesessen haben, aber die sind nicht der Typ, der sich für Proust interessiert.«
»Ich versuche es mal«, sagte Aomame. »Schick mir die Bücher beim nächsten Mal mit.«
»Ehrlich gesagt hatte ich sie schon dazugelegt.«
Am folgenden Dienstag um Punkt ein Uhr erschien der »Lieferdienst«. Tamarus Anweisungen folgend, schloss Aomame sich im Schlafzimmer ein und verhielt sich mucksmäuschenstill. Sie hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde und Leute die Wohnung betraten. Wer den von Tamaru angekündigten Dienst erledigte, wusste sie nicht. Den Geräuschen und Bewegungen nach zu urteilen handelte es sich wahrscheinlich um zwei Personen, aber Stimmen waren nicht zu hören. Offenbar trugen sie mehrere Kartons in die Wohnung und sortierten dann alles ein. Es war zu hören, wie sie etwas im Spülbecken wuschen und Dinge in den Kühlschrank legten. Vermutlich war genau abgesprochen, wer für welche Aufgaben verantwortlich war. Etwas wurde ausgepackt. Kartons und Papier wurden weggeräumt. Anscheinend nahmen sie auch den Abfall in der Küche mit. Aomame konnte ihn ja schlecht selbst nach unten in die Mülltonne bringen.
Die Helfer kamen auf leisen Sohlen und gingen effizient und ohne überflüssiges Rumoren zu Werke. Nach etwa zwanzig Minuten waren sie fertig. Die Eingangstür wurde geöffnet, sie gingen hinaus und schlossen von außen ab. Es klingelte einmal an der Tür – das Signal. Zur Sicherheit ließ Aomame noch fünfzehn Minuten verstreichen. Erst dann verließ sie das Schlafzimmer, vergewisserte sich, dass niemand mehr da war, und verriegelte die Tür von innen.
Der
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