1Q84: Buch 3
große Kühlschrank war mit Lebensmitteln für etwa eine Woche bestückt worden. Diesmal waren es keine leicht in der Mikrowelle zuzubereitenden Fertiggerichte, sondern frische Nahrungsmittel. Verschiedene Gemüse und Obst. Fisch und Fleisch. Tofu, Wakame und Natto. Milch, Käse und Orangensaft. Ein Dutzend Eier. Um überflüssigen Abfall zu vermeiden, war alles ausgepackt und auf praktische Weise neu verpackt worden. Offenbar wussten sie ziemlich genau, welche Lebensmittel Aomame täglich verwendete. Woher nur?
Am Fenster stand ein kleiner, aber hochwertiger Heimtrainer. Ein Display zeigte Geschwindigkeit, zurückgelegte Kilometer und Energieverbrauch an. Man konnte die Radumdrehungen pro Minute und die eigene Herzfrequenz überprüfen. Außerdem hatte man ihr noch eine Übungsbank aufgestellt, auf der sie ihre Bauch- und Rückenmuskeln und den Deltamuskel stählen konnte. Die Zusatzteile waren ganz leicht an- und abzumontieren. Aomame kannte sich mit der Bedienung solcher Geräte aus. Dieses befand sich auf dem neusten Stand, und die Ergebnisse, die sie hier mit einfachen Mitteln erzielen konnte, genügten ihr. Diese beiden Geräte würden es ihr ermöglichen, ihren Fitnessstand zu halten.
Auch ein Kasten mit einem metallenen Softball-Schläger stand bereit. Sie nahm ihn heraus und schwang ihn mehrere Male. Mit einem scharfen Sausen durchschnitt der nagelneue, silbern glänzende Schläger die Luft. Das vertraute Gewicht gab Aomame ein Gefühl von Sicherheit. Die Berührung erinnerte sie an Tamaki Otsuka und ihre gemeinsame Teenagerzeit.
Auf dem Esstisch lag eine fünfbändige Ausgabe von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit . Sie war nicht neu, wies jedoch keine Gebrauchsspuren auf. Aomame griff nach einem der Bände und blätterte ein wenig darin. Außerdem hatte man ihr noch mehrere Wochen- und Monatszeitschriften gebracht und fünf ganz neue, noch verschweißte Videofilme. Wer sie ausgewählt hatte, wusste sie nicht, aber sie hatte jedenfalls noch keinen dieser neuen Filme gesehen. Allerdings war Aomame keine regelmäßige Kinogängerin, und Filme zu finden, die sie nicht kannte, war nicht schwer.
In einer großen Einkaufstüte befanden sich drei neue, unterschiedlich dicke Pullover, zwei warme Flanellhemden und vier langärmlige T-Shirts. Alles einfarbig, schlicht geschnitten und in der richtigen Größe. Dicke Socken und Strumpfhosen waren auch dabei. Sie würde die Sachen brauchen, wenn sie bis Ende Dezember hierblieb. Sehr vorausschauend gedacht.
Aomame brachte die Kleidungsstücke ins Schlafzimmer, wo sie sie in Schubladen legte oder aufhängte. Als sie anschließend in der Küche einen Kaffee trank, klingelte das Telefon drei Mal, dann wurde aufgelegt, und es klingelte erneut.
»Ist alles angekommen?«, fragte Tamaru.
»Ja, danke, ich glaube, jetzt habe ich alles, was ich brauche. Die Geräte genügen mir vollkommen. Jetzt muss ich mir nur Proust zu Gemüte führen.«
»Wenn wir irgendetwas vergessen haben, sagst du es mir einfach, in Ordnung?«
»Mache ich«, sagte Aomame. »Aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass mir da etwas einfällt.«
Tamaru räusperte sich. »Vielleicht ist es überflüssig, aber darf ich dir einen Rat geben?«
»Welchen denn?«
»Es ist gar nicht so einfach, längere Zeit allein auf engem Raum eingesperrt zu leben, ohne jemanden zu sehen oder mit jemandem zu sprechen. Auch der härteste Mensch kann daran zerbrechen. Vor allem, wenn er zusätzlich noch gejagt wird.«
»Meine bisherige Wohnung war auch nicht gerade riesig.«
»Das könnte sich tatsächlich als Pluspunkt erweisen«, sagte Tamaru. »Trotz allem solltest du auf dich aufpassen. Bei dauernder Anspannung können die Nerven, ohne dass du es selbst merkst, irgendwann reißen. Dann wird es schwierig, sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.«
»Ich werde mich in Acht nehmen«, sagte Aomame.
»Ich habe es ja schon mal gesagt: Du bist ein besonnener Mensch. Du hast Ausdauer. Und du überschätzt dich nicht. Aber auch der Wachsamste kann einmal unkonzentriert sein und dann Fehler machen. Einsamkeit kann zu einer Säure werden, die den Menschen zerfrisst.«
»Ich glaube nicht, dass ich einsam bin«, sagte Aomame, halb zu Tamaru, halb zu sich selbst. »Allein vielleicht, aber nicht einsam.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Schweigen. Vermutlich dachte Tamaru über den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit nach.
»Jedenfalls werde ich noch stärker auf der Hut sein. Ich
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