1Q84: Buch 3
einmal der Fall gewesen, als er noch lebte. Jetzt wo er gestorben war, würden sich ja nicht plötzlich alle möglichen Gesprächsthemen ergeben.
»Dann würde ich gern woanders mit Ihnen über den Ablauf sprechen. Geht das?«
Tengo bejahte.
Bevor Schwester Tamura den Raum verließ, verneigte sie sich mit aneinandergelegten Händen leicht in Richtung des Toten. Tengo tat es ihr nach. Einem Toten zollte man Respekt, denn er hatte gerade den wichtigen, persönlichen Akt des Sterbens vollbracht. Dann verließen die beiden den fensterlosen Raum und gingen in die Cafeteria. Sie war ganz leer. Durch das große Fenster zum Garten strahlte heller Sonnenschein. Tengo trat ins Licht und atmete auf. Die Präsenz des Toten war hier nicht mehr spürbar. Sie waren in der Welt der Lebenden, wie unsicher und unvollkommen diese auch sein mochte.
Schwester Tamura brachte Tengo eine Schale mit heißem Hojicha, einem Tee aus leicht gerösteten Blättern. Die beiden setzten sich an einen Tisch und tranken eine Weile schweigend.
»Werden Sie heute hier übernachten?«, fragte Schwester Tamura.
»Ja. Ich habe aber noch nichts reserviert.«
»Wenn Sie möchten, könnten Sie in dem Zimmer schlafen, das Ihrem Vater gehört hat. Im Moment ist es ungenutzt, und es würde Sie nichts kosten. Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist.«
»Eigentlich nicht.« Tengo war etwas überrascht. »Aber geht das denn?«
»Kein Problem. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, von uns stört es niemanden. Ich lasse Ihnen gleich das Bett beziehen.«
»Und was muss ich jetzt noch machen?«, fragte Tengo.
»Wenn Sie vom zuständigen Arzt den Totenschein erhalten haben, gehen Sie damit aufs Rathaus, holen sich die Genehmigung für die Verbrennung und beantragen eine Sterbeurkunde. Das ist vorläufig das Wichtigste. Ansonsten gibt es noch ein paar Dinge bei der Rentenversicherung und bei seiner Bank zu erledigen, aber darüber sprechen Sie bitte mit dem Rechtsanwalt.«
»Rechtsanwalt?«, fragte Tengo erstaunt.
»Herr Kawana – das heißt, Ihr Vater – hat mit ihm die Formalitäten nach seinem Tod besprochen. Anwalt klingt so großspurig, aber das will nichts Besonderes heißen. In unserem Sanatorium leben ja viele alte Menschen, und da bei einigen die Rechtsfähigkeit in Frage steht, arbeiten wir mit einer hiesigen Kanzlei zusammen, die sie berät, um juristische Probleme bei Vermögensangelegenheiten zu vermeiden. Die Kanzlei stellt Notare und hilft beim Abfassen von Testamenten und so weiter. Es kostet nicht mal sehr viel.«
»Hat mein Vater ein Testament hinterlassen?«
»Auch darüber müssten Sie bitte mit dem Anwalt sprechen. Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Ich verstehe. Meinen Sie, ich könnte bald einen Termin bei ihm bekommen?«
»Wir haben ihn bereits für heute um drei Uhr herbestellt. Ich hoffe, es ist Ihnen recht. Wir wollen Sie nicht hetzen, aber Sie haben ja auch zu tun. Deshalb haben wir schon von uns aus die nötigen Vorbereitungen getroffen.«
»Damit haben Sie mir sehr geholfen.« Tengo bedankte sich für ihre Umsicht. Aus irgendeinem Grund waren alle älteren Frauen, die er kannte, vorausschauend und patent.
»Vorher können Sie noch auf dem Rathaus die Sterbeurkunde beantragen und die Genehmigung für die Verbrennung einholen. Denn ohne die kommen wir nicht weiter«, sagte Schwester Tamura.
»Gut, dann müsste ich aber jetzt nach Ichikawa fahren, denn dort war der Wohnsitz meines Vaters. Allerdings schaffe ich es wahrscheinlich nicht, um drei Uhr wieder hier zu sein.«
Die Schwester schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr Herr Vater hat gleich nach seinem Umzug seinen Wohnsitz von Ichikawa hierher verlegt. Er ist also in Chikura gemeldet. Um Ihnen im Ernstfall Umstände zu ersparen.«
»Wirklich sehr vorausschauend«, sagte Tengo beeindruckt. Anscheinend hatte sein Vater von Anfang an gewusst, dass er in Chikura sterben würde.
»Ja, wirklich«, sagte die Schwester. »Bisher habe ich kaum jemanden erlebt, der so war. Die meisten glauben, sie kämen nur für eine gewisse Zeit hierher. Aber, na ja …« Sie brach ab und verschränkte die Arme ruhig vor dem Körper, als verstehe sich das Weitere von selbst. »Nach Ichikawa brauchen Sie jedenfalls nicht zu fahren.«
Tengo wurde in das Krankenzimmer seines Vaters geführt, in dem er seine letzten Monate verbracht hatte. Das Bettlaken war abgezogen, Decke und Kissen waren entfernt. Zurückgeblieben war nur eine gestreifte Matratze. Auf dem Schreibtisch stand eine einfache Lampe, und der
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