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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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vielleicht wusste Komatsu in Wirklichkeit auch, wo Fukaeri war. Wenn er etwas wollte, würde er sich schon melden. Wenn nicht, gab es vermutlich auch nichts zu besprechen.
    Allmählich könnte er aber trotzdem mal anrufen, dachte Tengo. Denn Komatsus Satz »Wir werden irgendwann in Bälde darüber sprechen« war ihm seltsamerweise im Kopf geblieben.
     
    Zunächst rief Tengo den Freund an, der ihn an der Schule vertrat, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Keine Probleme, sagte dieser. Dann fragte er nach Tengos Vater.
    »Unverändert«, sagte dieser. »Atmung, Blutdruck und Temperatur sind auf Sparflamme, aber stabil. Er ist nicht bei Bewusstsein. Schmerzen hat er wohl auch nicht. Es ist, als sei er ins Reich der Träume gegangen.«
    »Keine üble Art zu sterben«, antwortete der Mann nicht gerade taktvoll. Was er eigentlich hatte sagen wollen, war: »Es klingt vielleicht nicht sehr einfühlsam, aber in gewisser Weise ist das wahrscheinlich gar keine schlechte Art zu sterben.« Doch die knappe Bemerkung war ihm sicher nur herausgerutscht. Nach mehreren Jahren am Fachbereich Mathematik gewöhnte man sich eine verkürzte Art der Konversation an. Und fand sie auch gar nicht mehr unnatürlich.
    »Hast du dir in letzter Zeit mal den Mond angeschaut?«, fragte Tengo ihn spontan. Wenn einer sich nichts dabei dachte, abrupt zum aktuellen Zustand des Mondes befragt zu werden, dann sicherlich sein Freund.
    Der junge Mann überlegte kurz. »Nicht, dass ich wüsste. Was ist damit?«
    »Könntest du ihn dir bei Gelegenheit mal ansehen? Ich würde gern deinen Eindruck hören.«
    »Meinen Eindruck? Inwiefern?«
    »Egal. Ich möchte nur wissen, was du über ihn denkst.«
    Kurze Pause. »Es wird möglicherweise nicht ganz leicht sein, das auszudrücken.«
    »Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Es geht nur um seine eindeutigen Merkmale.«
    »Ich soll mir den Mond angucken und über seine Merkmale nachdenken?«
    »Ja«, sagte Tengo. »Eigentlich brauchst du nicht mal zu denken.«
    »Heute ist es bewölkt, aber sobald es klar ist, seh ich ihn mir an. Wenn ich es nicht vergesse.«
    Tengo bedankte sich und legte auf. Wenn er es nicht vergaß. Das war das Problem mit Mathematikern. Wenn etwas sie nicht unmittelbar interessierte, hatten sie ein erstaunlich kurzes Gedächtnis.
     
    Die Besuchszeit war zu Ende, und Tengo verließ das Sanatorium. Als er an der Rezeption vorbeiging, verabschiedete er sich von Schwester Tamura, die dort saß.
    »Wie lange werden Sie denn noch bleiben?«, fragte sie, während sie mit dem Zeigefinger ihre Brille zurechtschob. Ihr Dienst schien bereits beendet, und statt der Schwesterntracht trug sie einen dunkelroten Faltenrock, eine weiße Bluse und eine graue Strickjacke.
    Tengo blieb stehen und überlegte. »Ich habe mich noch nicht entschieden. Es kommt darauf an, wie sich alles entwickelt.«
    »Können Sie sich denn noch eine Weile Urlaub nehmen?«
    »Ja, ich habe eine Vertretung. Es geht schon noch.«
    »Wo essen Sie denn?«, fragte die Schwester.
    »In einem Lokal in Nähe«, sagte Tengo. »In der Pension gibt es nur Frühstück, also nehme ich dort immer das Tagesmenü, einen Eintopf oder so etwas.«
    »Ist die Küche gut?«
    »Nicht so besonders. Aber das macht mir nichts aus.«
    »Das gefällt mir aber gar nicht.« An ihrer Miene ließ sich ablesen, dass sie das bedenklich fand. »Sie sollten besser auf Ihre Ernährung achten. Kein Wunder, dass Sie ein Gesicht machen wie ein Pferd, das im Stehen schläft.«
    »Ein Pferd, das im Stehen schläft?«, fragte Tengo erstaunt.
    »Ja, Pferde können im Stehen schlafen, haben Sie das noch nie gesehen?«
    Tengo schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Dabei machen sie genau so ein Gesicht wie Sie jetzt«, sagte Schwester Tamura. »Gehen Sie mal ins Bad und schauen Sie in den Spiegel. Auf den ersten Blick merkt man nicht, dass sie schlafen, aber wenn man genau hinschaut, erkennt man es. Ihre Augen sind offen, aber sie sehen nichts.«
    »Pferde schlafen mit offenen Augen?«
    Die Schwester nickte nachdrücklich. »Genau wie Sie.«
    Einen Augenblick lang war Tengo wirklich versucht, auf die Toilette zu gehen und in den Spiegel zu schauen, aber dann gab er den Gedanken auf. »Gut, ich werde versuchen, mich besser zu ernähren.«
    »Wenn Sie Lust haben, können wir ja mal in ein Grillrestaurant gehen.«
    »In ein Grillrestaurant?« Tengo aß kaum Fleisch. Nicht, dass er eine besondere Abneigung dagegen gehabt hätte, aber normalerweise hatte er

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