1Q84: Buch 3
etwas rausgekriegt?«
»Ich weiß auch nicht, warum«, sagte Tengo. »Plötzlich hat sie sich nicht mehr gemeldet, und das war’s.«
»Hm«, machte die junge Schwester Adachi. »Vielleicht hatte sie die Nase voll von Ihnen.«
Die hochgewachsene Schwester Omura schüttelte den Kopf und hob den Zeigefinger. »Du kennst den Lauf der Welt noch nicht«, sagte sie zu der jüngeren Schwester. »Du hast noch keine Ahnung. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass eine vierzigjährige verheiratete Frau einen so jungen, gesunden, gutaussehenden Mann ergattert und ihm dann freundlich den Laufpass gibt: ›Danke, hat mich sehr gefreut, leb wohl.‹ Höchstens umgekehrt.«
»Stimmt das?«, sagte Schwester Adachi mit leicht geneigtem Kopf. »Da kenne ich mich wohl wirklich nicht aus.
»Du kannst mir ruhig glauben«, bekräftigte Schwester Omura. Sie musterte Tengo kurz, als betrachte sie aus einigen Schritten Entfernung in ein Steinmonument eingemeißelte Zeichen. »Mit der Zeit wirst du es schon noch merken.« Sie nickte nachdrücklich.
Dann ergingen sich die drei in einer Klatschgeschichte über die amourösen Eskapaden einer Frau (einer Kollegin?), die Tengo nicht kannte. Sein Whiskeyglas in der Hand haltend, beobachtete er sie. Sie erinnerten ihn an die drei Hexen aus Macbeth . Die unheimlichen Schwestern, die Macbeth den unheilvollen Ehrgeiz, König zu werden, einflüsterten: »Schön ist wüst, und wüst ist schön.« Natürlich wusste Tengo, dass die drei Krankenschwestern keine bösen, sondern gutherzige, aufgeschlossene Frauen waren, die unermüdlich arbeiteten und sich um seinen Vater kümmerten. Auf ihnen lastete der Druck ihres schweren Berufs, und sie führten ein nicht gerade reizvolles Leben in einer Kleinstadt, deren wichtigster Industriezweig die Fischerei war. Einmal im Monat reagierten sie sich ein bisschen ab. Aber die geballte Energie dieser drei Frauen sehr unterschiedlichen Alters blies ihm wie von selbst den Wind der schottischen Highlands in den Sinn. Einen Himmel voll dichter Wolken und kalte, von Regen und Wind gepeitschte Höhen mit Heidekraut.
Es war lange her, dass er Macbeth im Englischunterricht gelesen hatte, aber ein paar Zeilen waren ihm noch im Gedächtnis geblieben.
Ha, mir juckt der Daumen sehr,
Etwas Böses kommt hieher!
Laßt ihn ein, wers mag sein. ***
Warum er sich wohl ausgerechnet diese Sätze gemerkt hatte? Er wusste nicht mehr, wer sie in dem Stück sagte, aber sie erinnerten ihn an den Kassierer von NHK , der in Koenji an seiner Wohnung geklopft hatte. Tengo betrachtete seinen Daumen. Er juckte nicht. Dennoch hatten Shakespeares Worte etwas sehr Unheilverkündendes.
Etwas Böses kommt hieher.
Hoffentlich würde Fukaeri die Tür nicht öffnen.
Kapitel 7
Ushikawa
Ich bin schon unterwegs
Ushikawa musste seine Nachforschungen über die alte Dame aufgeben. Alles um sie herum war so hermetisch abgeriegelt, dass er, ganz gleich, in welche Richtung er seine Fühler ausstreckte, immer irgendwann gegen eine unüberwindliche Mauer stieß. Er hätte gern weitere Erkundigungen über das Frauenhaus eingezogen, aber es war zu riskant, sich länger in dessen Nähe aufzuhalten. Es gab dort Überwachungskameras, und Ushikawa fiel schon allein durch sein Äußeres zu sehr auf. Wäre er einmal entdeckt, würde es schwierig werden zu agieren. Er beschloss, sich vorläufig von der Weidenvilla fernzuhalten und einen anderen Weg zu suchen.
Dabei fiel ihm nichts anderes ein, als Aomames Umfeld noch einmal ins Visier zu nehmen. Bei seinen früheren Recherchen hatte er eine ihm bekannte Detektei mit der Sammlung von Material beauftragt und sich parallel dazu selbst umgehört. Er hatte eine umfangreiche Akte über Aomame zusammengestellt, und nachdem er sie von allen Seiten durchleuchtet hatte, war er zu dem Ergebnis gekommen, dass sie keine Gefahr darstellte. In dem Sportstudio, in dem sie als Trainerin arbeitete, war sie hochgeschätzt. Als Kind hatte sie einer Sekte, der »Gemeinschaft der Zeugen«, angehört, war aber als Teenager ausgetreten und hatte sämtliche Verbindungen gekappt. Nach dem Abschluss ihres Sportstudiums mit Bestnote hatte sie bei einem Hersteller für Fitnessgetränke und Reformkost gearbeitet und eine zentrale Rolle in dessen Softball-Team eingenommen. Ihren Kollegen zufolge habe sie sowohl in ihrem Beruf als auch im Sport herausragende Leistungen erbracht. Sie war ehrgeizig und intelligent. Alle hielten große Stücke auf sie, auch wenn sie nicht viel
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