1Q84: Buch 3
Weile nicht auf die Toilette müsste, tauchte sie das Stäbchen kurzerhand in das Gefäß mit dem Urin. Er war ja ganz frisch. Das Ergebnis war das gleiche. In dem runden Plastikfensterchen erschienen ganz deutlich zwei vertikale Linien: »Es besteht die Möglichkeit einer Schwangerschaft.«
Aomame goss den Urin in die Toilette und spülte. Den verfärbten Teststreifen wickelte sie in ein Papiertaschentuch und warf ihn in den Mülleimer. Das Gefäß wusch sie im Bad aus. Dann ging sie in die Küche und trank noch einmal zwei Gläser Wasser. Morgen probiere ich den dritten aus, dachte sie. Aller guten Dinge sind drei.
Aomame brachte Wasser zum Kochen und brühte sich schwarzen Tee auf. Sie setzte sich aufs Sofa und las weiter. Sie nahm sich einen Teller mit fünf Cheese Cookies und knabberte sie zum Tee. Ein ruhiger Nachmittag, gerade richtig zum Lesen. Doch obwohl ihre Augen den Wörtern folgten, entzog sich Aomame der Inhalt des Geschriebenen, und sie musste die gleiche Stelle immer wieder lesen. Resigniert schloss sie die Lider und fuhr mit offenem Verdeck in dem blauen Cabriolet die Küstenstraße entlang. Der salzige Wind zauste ihr Haar. Ein Schild am Straßenrand zeigte zwei vertikale Linien. Achtung, Sie sind möglicherweise schwanger, bedeutete das.
Mit einem Seufzer legte Aomame das Buch aufs Sofa.
Den dritten Test konnte sie sich sparen, das war ihr klar. Und wenn sie hundert Tests machen würde, es würde immer das gleiche Ergebnis herauskommen. Reine Zeitverschwendung. Mein Choriongonadotropin wird sich weiterhin gleich verhalten: Es unterhält den Gelbkörper, verhindert den Eintritt meiner Periode und unterstützt die Bildung der Plazenta. Ich bin schwanger. Das Choriongonadotropin weiß das. Und ich weiß es auch. Ich kann genau spüren, dass etwas in meinem Unterleib ist. Jetzt ist es noch klein. Nicht viel mehr als ein Punkt. Aber bald wird die Plazenta reifen, und es wird wachsen. Es wird Nahrung von mir erhalten und sich in dem dunklen, schweren Wasser allmählich und unaufhaltsam entwickeln.
Sie war zum ersten Mal schwanger. Als nüchtern denkender Mensch glaubte sie nur, was sie mit eigenen Augen sehen konnte. Wenn sie mit jemandem schlief, bestand sie unter allen Umständen darauf, dass ihr Partner ein Kondom benutzte. Auch wenn sie betrunken war, versäumte sie es nie, sich davon zu überzeugen. Und wie sie der alten Dame in Azabu erzählt hatte, war ihre Periode, seit sie sie mit zehn Jahren bekommen hatte, nicht ein einziges Mal ausgefallen. Hatte sich nie auch nur um einen Tag verspätet. Beschwerden hatte sie kaum gekannt. Vom Sport hatte die Blutung sie auch nie abgehalten.
Das erste Mal bekam sie ihre Tage einige Monate nachdem sie nach der Schule Tengos Hand gehalten hatte. Sie glaubte fest daran, dass zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang bestand. Vermutlich hatte die Berührung etwas in ihrem Körper in Gang gesetzt. Als Aomame das erste Mal menstruierte, verzog ihre Mutter verärgert das Gesicht. Als hätte man ihr eine zusätzliche Last auferlegt. Ein bisschen früh, sagte sie spitz. Aber Aomame machte sich nichts daraus. Es war ihr Problem und ging weder ihre Mutter oder sonst jemanden etwas an. Sie hatte ihren ersten Schritt in eine neue Welt getan.
Und jetzt war sie schwanger.
Sie dachte an die Eizellen. Eine von meinen vierhundert Eizellen (eine, die ungefähr in der Mitte des ganzen Haufens gelegen hatte, vermutete sie) ist befruchtet worden. Wahrscheinlich an dem Gewitterabend, als ich in dem dunklen Zimmer den Mann getötet habe, indem ich ihm eine Nadel durch den Nacken in den unteren Teil seines Gehirns stieß. Aber bei ihm war es ganz anders als bei den Männern, die ich vor ihm umgebracht habe. Er war einverstanden. Er hat es sogar gewollt. Eigentlich habe ich ihm nur seinen Wunsch erfüllt. Ihn nicht als Bestrafung, sondern fast aus Barmherzigkeit getötet. Und er hat mir dafür etwas gewährt, das ich wollte. Es war ein Tauschhandel, irgendwo in dunkler Tiefe. An diesem Abend bin ich schwanger geworden. Ich weiß es.
Ich habe mit meinen Händen einem Mann sein Leben geraubt und beinahe gleichzeitig ein neues Leben empfangen. Ob das auch Teil unseres Tauschhandels war?
Aomame schloss die Augen und unterbrach ihre Gedanken. Sobald eine gewisse Leere in ihrem Geist entstand, strömte etwas lautlos hinein. Sie betete, ohne es zu merken.
Unser Vater im Himmel, Dein Name werde geheiligt, Dein Königreich komme. Vergib uns unsere große Schuld, wie
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