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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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aus Ichikawa fortgezogen und auf eine andere Schule gewechselt. Jede Verbindung zwischen ihnen war abgerissen.
    Die einzige Gemeinsamkeit, die sich aus der Grundschulzeit der beiden ergab, war ihr Aufbegehren gegen die elterliche Tyrannei. Beide Kinder mussten im Schlepptau eines Elternteils durch die Stadt ziehen – auch wenn die Missionierung von neuen Glaubensbrüdern und das Einsammeln von Rundfunkgebühren recht unterschiedliche Zielsetzungen waren. Ihre Position in der Klasse hätte verschiedener nicht sein können. Dennoch waren die beiden wahrscheinlich gleich einsam und sehnten sich gleich stark nach etwas . Oder nach jemandem − jemandem, der sie bedingungslos akzeptierte und liebte. Ushikawa konnte sich ihren Gefühlszustand vorstellen. In gewisser Weise hatte er selbst genauso empfunden.
     
    Also gut, dachte Ushikawa, während er mit verschränkten Armen im Expresszug von Tsudanuma nach Tokio saß. Wie soll ich jetzt vorgehen? Es ist mir gelungen, mehrere Verbindungen zwischen Aomame und Tengo zu entdecken. Hochinteressante Verbindungen. Leider fehlt mir noch immer jeder konkrete Beweis.
    Ich stehe vor einer hohen Mauer mit drei Türen. Für eine muss ich mich entscheiden. An jeder hängt ein Schild: Auf dem einen steht Tengo , auf dem nächsten Aomame und auf dem dritten alte Dame in Azabu . Aomame hat sich buchstäblich in Rauch aufgelöst. Ist spurlos verschwunden. Die Weidenvilla in Azabu ist so streng bewacht wie ein Bank-Saferaum. Da komme nicht mal ich ran. Es bleibt also nur eine Tür übrig.
    Im Moment habe ich keine andere Alternative, als mich an Tengos Fersen zu heften. Es lebe das Eliminationsverfahren. Man möchte direkt einen hübschen Prospekt darüber an die Passanten verteilen. Hier bitte, meine Herrschaften, so funktioniert die Elimination.
    Ein sympathischer Junge, dieser Tengo. Mathematiker und Schriftsteller. Judo-Champion und der Liebling seiner Grundschullehrerin. Vorläufig ist er meine Schlüsselfigur, nur durch ihn kann ich den Knoten lösen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto unverständlicher ist mir das alles. Es fühlt sich an, als hätte mein Gehirn sich in Tofu verwandelt, bei dem das Verfallsdatum überschritten ist.
    Wie sah es wohl bei Tengo aus? Hatte er ein Gesamtbild vor Augen? Nein, vermutlich nicht. Soweit Ushikawa sehen konnte, befand Tengo sich noch in einem Versuchsstadium und schien alle möglichen Umwege zu machen. Ob er auch so vieles verwirrend fand und in Gedanken verschiedene Hypothesen aufstellte? Immerhin war er ein geborener Mathematiker. Er beherrschte es sicher, Einzelteile zu einem Puzzle zusammenzufügen. Vielleicht hatte er als Betroffener sogar schon viel mehr Teile in der Hand als Ushikawa.
    Vorerst werde ich Tengo Kawana beschatten, dachte er. Irgendwohin wird er mich schon führen. Wenn ich Glück habe, sogar zu Aomames Versteck. Eine von Ushikawas größten Stärken war es, sich an eine Spur zu heften wie ein Schiffshalterfisch an einen Hai und sich nicht mehr abschütteln zu lassen.
    Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, schloss Ushikawa die Augen und schaltete seinen Denkapparat ab. Etwas Schlaf würde ihm guttun. Zwei dämliche Grundschulen in Chiba hatte er abgeklappert und sich das Gerede von zwei nicht mehr ganz jungen Lehrerinnen angehört. Der schönen Vizerektorin und der Lehrerin mit dem Krebsgang. Seine Nerven brauchten etwas Ruhe. Ushikawas großer asymmetrischer Schädel begann, langsam im Rhythmus der Erschütterungen des Zuges zu wippen. Es sah aus wie bei einer lebensgroßen Puppe, deren Mund unheilvolle Verheißungen atmete.
    Der Zug war voll, aber kein anderer Fahrgast hatte sich neben Ushikawa setzen wollen.

Kapitel 11
    Aomame
    Keine Vernunft, und an Güte fehlt es auch
    Am Dienstagmorgen schrieb Aomame eine Notiz für Tamaru. Der Mann, der sich als Gebührenkassierer von NHK ausgab, sei zurückgekehrt. Er habe gegen die Tür geschlagen und Aomame (beziehungsweise die dort wohnende Person namens Takai) laut beschimpft und verhöhnt. Sich offensichtlich übertrieben und unnatürlich verhalten. Wahrscheinlich müsse man ernsthaft auf der Hut sein.
    Aomame schob den Zettel in einen Umschlag, klebte ihn zu und legte ihn auf den Küchentisch. Der Umschlag, auf den sie die Initiale T geschrieben hatte, würde über den Lieferdienst zu Tamaru gelangen.
    Kurz vor ein Uhr nachmittags schloss sich Aomame im Schlafzimmer ein und legte sich aufs Bett, um mit ihrer Proust-Lektüre fortzufahren. Um Punkt ein Uhr klingelte

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