1Q84: Buch 3
es einmal an der Tür. Nach einer kurzen Pause wurde aufgeschlossen, und der Lieferdienst betrat die Wohnung. Wie üblich füllten die Leute rasch den Kühlschrank auf, kümmerten sich um den Müll und überprüften die Bestände in den Schränken. Als sie nach etwa fünfzehn Minuten ihre Arbeit beendet hatten, verließen sie die Wohnung und schlossen die Tür von außen ab. Dann drückten sie noch einmal die Klingel. Die übliche Routine.
Nachdem Aomame sicherheitshalber gewartet hatte, bis die Zeiger der Uhr auf halb zwei standen, verließ sie das Schlafzimmer und ging in die Küche. Der an Tamaru gerichtete Umschlag war fort, und auf dem Tisch lag eine Papiertüte mit dem Namen einer Apotheke. Außerdem hatte Tamaru ihr noch ein dickes Buch mit dem Titel Enzyklopädie des weiblichen Körpers besorgt. In der Tüte befanden sich dreierlei Schwangerschaftstests. Sie öffnete die Packungen und las jede der Gebrauchsanweisungen aufmerksam durch. Sie lauteten ungefähr gleich. Sobald die Periode mehr als eine Woche überfällig war, konnte man den Test machen. Er sei zu fünfundneunzig Prozent sicher, aber bei einem positiven Ergebnis sei es ratsam, sich in gynäkologische Behandlung zu begeben. Man solle nicht allein aufgrund des Tests voreilige Schlüsse ziehen. Es bestehe »lediglich die Möglichkeit einer Schwangerschaft«.
Die Handhabung war einfach. Man fing etwas Urin in einem sauberen Gefäß auf und tauchte einen Streifen Papier hinein. Oder man urinierte direkt auf ein Stäbchen. Dann wartete man einige Sekunden. Verfärbte es sich blau, war man höchstwahrscheinlich schwanger. Wenn nicht, dann nicht. Bei einem anderen Test erschienen in einem runden Fensterchen zwei vertikale Linien, wenn eine Schwangerschaft bestand. War es nur eine Linie, hatte keine Schwangerschaft festgestellt werden können. Das Prinzip war immer das Gleiche: An der Reaktion auf das im Urin enthaltene – oder nicht enthaltene – Hormon Choriongonadotropin erkannte man, ob eine Schwangerschaft vorlag.
Choriongonadotropin? Aomame runzelte die Stirn. Nun lebte sie schon dreißig Jahre als Frau auf dieser Welt und hatte diesen Begriff noch nie gehört. Und die ganze Zeit hatte dieses Zeug ihre Geschlechtsdrüsen stimuliert?
Aomame blätterte in der Enzyklopädie des weiblichen Körpers .
»Das humane Choriongonadotropin ist ein Peptid-Hormon, das während der frühen Phase der Schwangerschaft gebildet wird. Es trägt dazu bei, den Gelbkörper zu erhalten«, stand dort. »Der Gelbkörper bildet Progesteron und Östrogen, sorgt für den Erhalt der Gebärmutterschleimhaut und verhindert so die Menstruation. Auf diese Weise wird im Uterus allmählich die Plazenta aufgebaut. Ist dieser Vorgang nach sieben bis neun Wochen abgeschlossen, ist die Aufgabe des Gelbkörpers und damit auch die des Hormons Choriongonadotropin beendet.«
Das hieß, ab der Einnistung wurde sieben bis neun Wochen lang Choriongonadotropin abgesondert. Zeitlich war das in ihrem Fall etwas heikel. Wenn das Ergebnis positiv ausfiel, gab es zwar kaum einen Zweifel, dass sie schwanger war. Ein negatives Ergebnis wäre hingegen keine Garantie dafür, dass sie nicht schwanger war, denn es bestand die Möglichkeit, dass die Zeit der Absonderung bereits vorüber war.
Aomame verspürte keinen Harndrang. Sie nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und trank zwei Gläser. Aber noch immer merkte sie nichts. Es eilte ja auch nicht. Sie vergaß die Schwangerschaftstests und konzentrierte sich weiter auf ihre Proust-Lektüre.
Gegen drei Uhr musste sie auf die Toilette. Sie urinierte in ein geeignetes Gefäß und hielt das Stäbchen hinein. Es verfärbte sich zusehends, bis es leuchtend blau war. Es war eine elegante Farbe, wie man sie für ein Auto verwenden würde. Ein kleines blaues Cabrio mit einem hellbraunen Verdeck. Es musste herrlich sein, in einem solchen Wagen bei frühsommerlichem Wind eine Küstenstraße entlangzufahren. Aber an jenem herbstlichen Nachmittag im Badezimmer einer Wohnung mitten in Tokio zeigte ihr dieses Blau lediglich an, dass sie schwanger war – oder dass sie zu fünfundneunzig Prozent schwanger war. Aomame stand vor dem Spiegel und starrte lange auf den blau verfärbten, länglichen Papierstreifen. Doch er machte keine Anstalten, seine Farbe zu verändern.
Zur Sicherheit probierte sie noch den Test eines anderen Herstellers. In der Beschreibung stand: »Bitte direkt auf das Stäbchen urinieren.« Aber da sie wahrscheinlich für eine
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