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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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auch wir unseren Schuldnern vergeben haben. Sei mit uns durch Deinen Segen, sei um uns auf unseren Wegen. Amen.
     
    Warum ihr das Gebet wohl einfach so in den Sinn kam? Obwohl sie weder an einen Himmel oder ein Paradies noch an einen Gott glaubte, hatte es sich ihr fest eingeprägt. Seit ihrem dritten oder vierten Lebensjahr hatte man sie diese Worte, deren Bedeutung sie noch gar nicht verstand, vorwärts und rückwärts aufsagen lassen und ihr beim kleinsten Fehler mit einem Lineal auf die Hände geschlagen. Normalerweise war es nicht präsent, aber in bestimmten Situationen trat es an die Oberfläche. Es war wie eine geheime Tätowierung.
     
    Was Mutter wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass ich ohne Geschlechtsverkehr schwanger geworden bin? Vielleicht wäre es in ihren Augen ein furchtbares Sakrileg? Zumindest ist es ja eine Art unbefleckter Empfängnis – auch wenn ich natürlich keine Jungfrau mehr bin. Aber trotzdem. Oder sie würde es überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen. Oder mir nicht einmal zuhören. Denn ich bin ja ein missratenes, gefallenes Subjekt, das schon vor langer Zeit aus ihrer Welt verschwunden ist.
    Aomame bemühte sich, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Sie wollte nicht mehr mit Gewalt versuchen, etwas zu erklären, für das es keine Erklärung gab. Versuchen, das Rätsel als Rätsel anzunehmen und das Ereignis von einer anderen Seite zu betrachten.
    BEGRÜSSE ICH MEINE SCHWANGERSCHAFT UND FREUE MICH DARÜBER? ODER EMPFINDE ICH SIE ALS UNERWÜNSCHT UND UNWILLKOMMEN?
    Doch alles Grübeln half nicht, sie kam zu keinem Schluss. Vielleicht befand sie sich noch in einem Schockzustand. War zu verstört und verwirrt. Auch hin- und hergerissen. Natürlich konnte sie diese neue Situation, der sie sich nun gegenübersah, nicht mühelos verdauen. Zugleich verspürte sie eine Art Vorfreude und konnte nicht umhin, einen gewissen Beschützerinstinkt für diese kleine Quelle der Wärme an sich wahrzunehmen. Aomame musste sich einfach vergewissern, was in ihr vorging. Natürlich war sie unsicher und hatte Angst. Es war vielleicht etwas, das all ihre Vorstellungen sprengte. Eine feindliche Substanz, begierig, sie von innen aufzufressen. Mehrere furchterregende Möglichkeiten kamen ihr in den Sinn. Doch eigentlich empfand sie eine gesunde Neugier. Dann tauchte plötzlich ein Gedanke in ihr auf. Wie ein Licht im finsteren Tal.
    VIELLEICHT IST ES JA TENGOS KIND, DAS ICH IN MIR TRAGE.
    Die Brauen leicht zusammengezogen, ließ Aomame ihre Gedanken um diese Möglichkeit kreisen. Aber warum sollte sie ausgerechnet von Tengo schwanger geworden sein?
    Ich will es mir einmal so vorstellen, dachte sie. An jenem chaotischen Abend, an dem so viel passiert ist, war die Welt irgendwie aus den Fugen, etwas war im Gange. Tengo konnte seinen Samen irgendwie in meine Gebärmutter befördern. Ich weiß zwar nicht, wie, aber vielleicht ist zumindest für einen Moment durch eine Lücke zwischen Donner und Wolkenbruch, Finsternis und Mond ein besonderer Durchgang entstanden. Und diesen Durchgang haben wir wirkungsvoll genutzt. Mein Körper hat die Gelegenheit ergriffen und Tengo begierig in sich aufgenommen. Ich wurde schwanger. Meine Eizelle Nummer 201 oder Nummer 202 hat sich eine von Tengos Millionen Samenzellen geschnappt. Eine Samenzelle, so gesund, klug und aufrichtig wie ihr Erzeuger.
    Vielleicht geht auch meine Phantasie mit mir durch, dachte sie. Die ganze Vorstellung widerspricht jeder Vernunft. Ich könnte mir den Mund fransig reden, und trotzdem würde mir niemand glauben. Allein die Tatsache, dass ich schwanger bin, ist schon Wahnwitz. Aber schließlich leben wir im Jahr 1Q84, in einer Welt, in der man sich über gar nichts zu wundern braucht.
    UND WENN ES WIRKLICH TENGOS KIND IST?
    Habe ich deshalb an jenem Morgen auf dem Pannenstreifen an der Stadtautobahn Nummer 3 nicht abgedrückt? Ich hatte ernsthaft vor zu sterben, die Pistole hatte ich ja schon im Mund. Ich hatte keine Angst vor dem Tod, denn ich wollte sterben, um Tengo zu retten. Aber irgendeine Macht hielt mich davon ab. Jemand rief von weit her meinen Namen. Vielleicht, weil ich schwanger bin? Wollte er mir etwa sagen, dass ich ein neues Leben in mir trage?
    Aomame dachte an ihren Traum von der eleganten, nicht ganz jungen Dame, die ihr den Mantel gab, um ihre Blöße zu bedecken. Sie stieg aus ihrem silberfarbenen Mercedes und hängte ihr den leichten, weichen, gelblichen Mantel um. Sie wusste, dass Aomame schwanger war, und schützte sie

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