1Q84: Buch 3
Nachmittag des folgenden Tages rief Tamaru an.
»Zuerst einmal der NHK -Kassierer«, sagte er. »Ich habe in der Verwaltung von NHK angerufen und mich erkundigt. Der für diesen Bezirk in Koenji zuständige Kassierer sagt, er könne sich nicht erinnern, jemals an die Tür der Wohnung 303 geklopft zu haben. Er habe den Aufkleber an der Tür schon vor längerer Zeit zur Kenntnis genommen. Außerdem sagt er, dass er klingelt, nicht klopft und schon gar nicht gegen die Türen hämmert. Dabei würde er sich nur wehtun. Und an dem Tag, als der Verrückte aufgetaucht ist, sei er in einem ganz anderen Bezirk unterwegs gewesen. Ich glaube nicht, dass er lügt. Er ist schon fünfzehn Jahre bei NHK und für seine Geduld und seine Liebenswürdigkeit bekannt.«
»Das heißt?«, sagte Aomame.
»Das heißt, es ist sehr wahrscheinlich, dass der, der bei dir war, nicht wirklich von NHK ist. Anscheinend gibt sich der Mann, der bei dir klopft, nur als Gebührenkassierer aus. Der Zuständige von NHK befürchtet das auch. Für den Sender ist es natürlich ziemlich unangenehm, wenn falsche Kassierer auftauchen, und sie würden gern Einzelheiten aus erster Hand von dir erfahren. Natürlich habe ich das abgelehnt. Mit der Begründung, das kein wirklicher Schaden entstanden sei und ich keine große Sache daraus machen wolle.«
»Ob der Mann geistesgestört ist? Oder gehört er zu meinen Verfolgern?«
»Ich glaube nicht, dass die, die nach dir suchen, so etwas machen würden. Welchen Nutzen sollte das haben? Im Gegenteil, du wärst doch nur gewarnt.«
»Aber warum sollte ein Wahnsinniger sich ausgerechnet meine Tür aussuchen? Wo es so viele andere gibt. Ich passe doch ständig auf, dass kein Licht nach außen dringt, und mache so gut wie keine Geräusche. Die Vorhänge sind immer zugezogen, und es hängt auch keine Wäsche draußen. Und trotzdem kommt er ausgerechnet hierher, um gegen die Tür zu hämmern. Der Mann weiß, dass ich mich hier versteckt halte. Zumindest behauptet er das. Und er versucht, mich mit aller Gewalt zum Öffnen zu bewegen.«
»Meinst du, er kommt noch mal wieder?«
»Ich weiß nicht. Aber vielleicht hat er vor, so lange wiederzukommen, bis ich aufmache.«
»Beunruhigt dich das?«
»Nein, nicht direkt«, sagte Aomame. »Es gefällt mir nur nicht.«
»Mir natürlich auch nicht. Gar nicht. Aber NHK oder die Polizei kannst du auch nicht anrufen, wenn dieser falsche Kassierer wieder auftaucht. Und selbst wenn du mich erreichst und ich sofort losfahre, ist er wahrscheinlich weg, bevor ich ankomme.«
»Ich glaube, ich kann allein mit ihm fertigwerden. Soll er doch krakeelen, ich brauche ja bloß nicht aufzumachen.«
»Er wird bestimmt alles Mögliche versuchen.«
»Steht zu befürchten«, sagte Aomame.
Tamaru räusperte sich kurz und wechselte das Thema. »Hast du den Test schon gemacht?«
»Positiv«, sagte Aomame knapp.
»Du hattest also recht.«
»Genau. Ich habe zwei ausprobiert, bei beiden war das Ergebnis das gleiche.«
Schweigen. Ein Schweigen wie eine Steinplatte, in die noch keine Zeichen gemeißelt worden waren.
»Kein Zweifel möglich?«, fragte Tamaru.
»Ich habe es von vornherein gewusst. Die Tests waren nicht mehr als eine Bestätigung.«
Tamaru strich mit den Fingerkuppen über die unbeschriftete Steinplatte.
»Ich muss dich jetzt ganz offen fragen«, sagte er schließlich. »Möchtest du es bekommen? Oder etwas unternehmen ?«
»Ich werde nichts unternehmen .«
»Das heißt, du möchtest es bekommen.«
»Wenn alles glattgeht, müsste der Geburtstermin im Juni oder Juli nächsten Jahres liegen.«
Tamaru rechnete im Kopf nach. »Das heißt, wir müssen unsere Pläne ändern.«
»Tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Tamaru. »Ganz gleich unter welchen Umständen, Frauen haben das Recht, Kinder zu bekommen, und dieses Recht muss man schützen.«
»Klingt wie eine Menschenrechtserklärung«, sagte Aomame.
»Es ist zudringlich, dich noch einmal zu fragen, aber du hast wirklich keine Ahnung, wer der Vater ist?«
»Ich hatte seit Juni keinen Geschlechtsverkehr.«
»Also handelt es sich um eine Art unbefleckte Empfängnis?«
»Wenn du es so nennen willst. Fromme Menschen würden an dieser Formulierung vielleicht Anstoß nehmen.«
»Außergewöhnliche Dinge erregen immer Anstoß«, sagte Tamaru. »Aber Schwangere sollten sich in einem möglichst frühen Stadium von einem Facharzt untersuchen lassen. Du kannst das Kind nicht in dieser Wohnung eingesperrt
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